Chiari-Malformation

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Die Chiari-Malformation (früher auch Arnold-Chiari-Malformation) umfasst eine Reihe von angeborenen Fehlbildungen im Bereich der hinteren Schädelgrube, bei der Teile des Kleinhirns durch eine natürliche Öffnung am Schädelboden in den oberen Teil des Wirbelkanals gedrückt werden. Das kann den Fluss von Hirnflüssigkeit blockieren und zu Problemen wie Kopfschmerzen, Nackenschmerzen, Gleichgewichtsstörungen und anderen neurologischen Symptomen führen. Es gibt verschiedene Typen der Chiari-Malformation, von denen Typ I der häufigste ist. Bei betroffenen Patienten treten typischerweise im Jugend- oder jungen Erwachsenalter erste Symptome auf. Die Behandlung hängt vom Schweregrad der Symptome und Erkrankung ab.

Wie häufig ist eine Chiari-Malformation?

Chiari-Malformation Typ I

Bei rund 1 % aller gesunden Erwachsenen, bei denen eine Magnetresonanztomografie (MRT oder MRI von engl. magnetic resonance imaging) des Kopfes gemacht wird, zeigt sich eine kaudale Verlagerung der Kleinhirntonsillen, das heisst eine Verlagerung von Teilen des Kleinhirns nach unten in das Foramen magnum und den Wirbelkanal *. Wenn diese Verschiebung mehr als 5 mm beträgt, spricht man von einer Chiari-Malformation Typ I. Allerdings zeigen nur 0,01 bis 0,04 % der Betroffenen Symptome. Die Erkrankung kann in jedem Alter diagnostiziert werden, tritt jedoch häufig im Jugend- oder jungen Erwachsenenalter auf. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer.

Chiari-Malformation Typ II

Die Chiari-Malformation Typ II ist eine Anomalie, die bei etwa 1 von 1000 Geburten vorkommt und eine spezifische Form der Erkrankung darstellt. Sie tritt fast ausschliesslich bei Patienten mit Spina bifida auf, insbesondere bei Kindern, die mit einem offenen Rücken (Myelomeningozele) geboren werden. Diese Form des Chiari beinhaltet eine Verlagerung sowohl des Kleinhirns als auch von Teilen des Hirnstamms in das Foramen magnum und den Wirbelkanal.

Aufgrund verbesserter pränataler Diagnostik und präventiver Massnahmen wie der Einnahme von Folsäure während der Schwangerschaft ist die Rate der Spina bifida und damit auch der Chiari II-Malformation in vielen Ländern rückläufig.

Welche Symptome verursacht eine Chiari-Malformation?

Chiari-Malformation Typ I

Die Chiari-Malformation Typ I umfasst eine heterogene Gruppe von Missbildungen der hinteren Schädelgrube. Allen gemeinsam ist die gestörte Liquorzirkulation im Schädel-Hals-Bereich durch die Verlagerung der Kleinhirntonsillen nach unten in das Foramen magnum, den Austrittskanal des Rückenmarks aus der Schädelbasis. Hierbei kann es zu einer Kompression des Hirnstamms, einem Hydrozephalus (Ansammlung von Hirnwasser in den Hirnwasserkammern, «Wasserkopf») oder einer Syringomyelie (Höhlenbildung im Rückenmark) kommen.

Typische Symptome sind:

  • Schmerzen im Kopf- oder Nackenbereich
  • evtl. Ausstrahlung der Symptome in Arme oder Beine
  • Schwäche in einer oder mehreren Extremitäten
  • Sensibilitätsstörungen in einer oder mehreren Extremitäten
  • Gangunsicherheit
  • mitunter auch Sehstörungen (Doppelbilder), Schluckbeschwerden, Tinnitus oder Sprachstörungen
  • Schwindel, Koordinationsstörungen und auch Atemstörungen (das sogenannte zentrale Schlafapnoe-Syndrom)

Chiari-Malformation Typ II

Bei dieser Form der Missbildung sind die Kleinhirntonsillen wie auch das Kleinhirn und der Hirnstamm nach unten verlagert und setzen die unteren Hirnnerven unter Zug. Meistens verursacht dies auch einen Hydrozephalus. Diese Art der Fehlbildung tritt häufig in Kombination mit einem offenen Rücken (Myelomeningozele) auf – einer schwerwiegenden Entwicklungsstörung im Embryonalstadium, bei der das Neuralrohr, aus welchem das Rückenmark entsteht, nicht vollständig verschlossen wird. Typische Beschwerden treten bereits in der Kindheit auf und umfassen:

  • Schluckstörungen
  • Atembeschwerden
  • Atempausen
  • pfeifende Atemnebengeräusche (Stridor)
  • Aspiration (Einatmen von Flüssigkeit und Speichel)
  • Lähmungen der Arme
  • Lähmungen der Arme und Beine (Tetraplegie)

Wie wird eine Chiari-Malformation diagnostiziert?

Eine Magnetresonanztomografie (MRT bzw. MRI von engl. magnetic resonance imaging) des Schädels und der Halswirbelsäule ist das diagnostische Verfahren der ersten Wahl. Das Echtzeit-MRI (auch MR-Fluoroskopie genannt) ermöglicht eine kontinuierliche Beobachtung in Echtzeit und stellt Bewegungen als Bildserie oder Film dar. Dies kann hilfreich sein, den Liquorfluss durch das Foramen magnum zu beurteilen.

Wie wird eine Chiari-Malformation behandelt?

Chiari-Malformation Typ I

Oft wird eine Chiari-Malformation Typ I als Zufallsbefund entdeckt, und die Betroffenen haben keinerlei Symptome. In diesen Fällen ist eine Operation meist nicht notwendig. Allerdings muss bei einer asymptomatischen Chiari-Malformation Typ I, die in Verbindung mit einer zervikalen Syringomyelie auftritt, individuell mit dem Patienten diskutiert werden, ob eine Operation sinnvoll ist.

Bei einer symptomatischen Chiari-Malformation Typ I besteht dagegen eine klare Operationsindikation. In der Regel sprechen die Beschwerden gut auf die Operation an. Bei schon länger bestehender Schwäche, Schlafapnoesyndrom oder Gangstörungen kommt es allerdings nicht immer zu einer kompletten Regeneration. Aus diesem Grund sollte die Operation frühzeitig durchgeführt werden, wenn die Betroffenen Symptome zeigen.

Das Ziel der Operation ist eine Dekompression der hinteren Schädelgrube zur Wiederherstellung des normalen Liquorabflusses. Zur Auswahl stehen verschiedene Operationsverfahren, die sich in ihrer Invasivität, ihren Erfolgsaussichten und dem Risikoprofil unterscheiden.

Bei jeder der Operationen wird eine suboccipitale Kraniektomie durchgeführt. Das bedeutet, dass ein Teil des Schädelknochens im Bereich des Foramen magnums entfernt wird, eine Foramen magnum-Dekompression. Anschliessend kann zusätzlich eine Teilentfernung des hinteren Bogens (eine sogenannte Laminektomie) des 1. Halswirbelkörpers ergänzt werden. Bei diesem Operationsverfahren an der Wirbelsäule wird der Wirbelbogen mit dem Dornfortsatz entfernt. Je nach Ausdehnung der kaudalen Verlagerung der Kleinhirntonsillen kann in einzelnen Fällen auch zusätzlich eine Laminektomie der Halswirbel C2 und/oder C3 durchgeführt werden.

Mögliche Varianten der Operation sind:

  1. Je nach Alter der Patienten und Ausprägung kann eine rein knöcherne Dekompression/Entlastung (sogenannte bone only decompression) ausreichend sein *, *, *. Der freie und ungehinderte Fluss des Liquors in Richtung Spinalkanal kann während der Operation mittels Ultraschall überprüft werden zur Entscheidungsfindung, ob die Dura eröffnet wird.
  2. Sollte die knöcherne Dekompression nicht zu einer ausreichenden Entlastung führen oder sollten präoperativ Zeichen für sehr hohen Druck bestehen, sind als weitere intraoperative Schritte die Öffnung der Dura und die Durchführung einer Erweiterungsplastik zusätzlich zur Dekompression der hinteren Schädelgrube möglich. *, *
  3. Sollten die Eröffnung und Erweiterung der Dura nicht ausreichen, kann zusätzlich eine Schrumpfung oder Entfernung der Kleinhirntonsillen durchgeführt werden. *
     

Chiari-Malformation Typ II

Auch hier kann die Behandlung über eine Dekompression der hinteren Schädelgrube mittels suboccipitaler Kraniektomie und Laminektomie von C1 erfolgen. Allerdings muss häufig vorab zur Behandlung des Hydrozephalus ein ventrikuloperitonealer Shunt oder kurz VP-Shunt implantiert werden. Dabei handelt es sich um eine chirurgisch geschaffene Verbindung zwischen dem Ventrikelsystem des Gehirns und der Bauchhöhle, über die überschüssiger Liquor in den Bauchraum abgeleitet werden kann, wo er resorbiert wird.

Operationsrisiko

Bei einem chirurgischen Eingriff zur Entlastung der hinteren Schädelgrube können verschieden Komplikationen auftreten. Zu den möglichen Problemen gehören unter anderem eine unzureichende Entlastung des Drucks im Schädel, das Austreten von Gehirnflüssigkeit (Liquorleck), Infektionen oder Probleme bei der Wundheilung. Der Erfolg und das Risiko der Operation hängen stark von der gewählten Methode und dem Schweregrad der Erkrankung ab.

Es gibt unterschiedliche Ansichten in der medizinischen Literatur und bei der Vorgehensweise in den einzelnen medizinischen Zentren. Generell gilt: Weniger invasive Eingriffe bergen ein höheres Risiko, dass die Entlastung nicht ausreichend ist und möglicherweise eine weitere Operation erforderlich macht. Andererseits erhöht ein invasiverer Eingriff das Risiko für Komplikationen während und nach der Operation, was zu weiteren chirurgischen Eingriffen zur Behandlung dieser Probleme führen kann. Trotzdem kann bei invasiveren Methoden das Risiko einer erneuten Dekompressionsoperation verringert werden.

Unsere Erfahrungen am Inselspital

Unser spezialisiertes neurochirurgisches Team verfügt über eine langjährige Erfahrung in der chirurgischen Behandlung von Chiari-Malformationen. Abhängig von der individuellen Situation des Patienten wählen wir die passendste Operationsmethode. *

Um unseren Patienten eine maximale Sicherheit während der Operation zu garantieren, wird jede Operation unter Einsatz neuester technologischer Verfahren durchgeführt. So verwenden wir während der Operation Echtzeit-Ultraschall, um die Entlastung direkt zu überwachen und die gewählte Methode individuell anzupassen. Auch kann in speziellen Fällen ein kontinuierliches intraoperatives Monitoring erfolgen.

Bei Kindern mit Chiari-Malformation arbeiten wir eng mit den Kollegen der Pädiatrie und Neuropädiatrie des Kinderspitals zusammen.

Referenzen

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