Robotik, künstliche Intelligenz, Digitalisierung, Automatisierung, Chat-GPT, Machine Learning ‒ diese Begriffe sind heute in aller Munde. In alle Lebensbereiche dringt die technologische Entwicklung auf diesem Gebiet immer weiter und immer schneller vor und verändert unseren Alltag und unsere Gesellschaft.

Auch in der Medizin hat die Robotik längst Einzug gehalten. So hat die Universität Bern kürzlich den ersten Lehrstuhl für Robotik geschaffen, und robotergestützte Eingriffe sind aus der Chirurgie nicht mehr wegzudenken. Doch kann der Roboter den Menschen, die Ärztin oder den Arzt auch ganz ersetzen? Ist er vielleicht sogar besser, schneller, präziser und effizienter? Und ist dies nur eine kühne Utopie oder vielleicht schon sehr bald Realität? Wie also sieht er aus, unser Operationssaal der Zukunft?

Woche des Gehirns 2023, Universität Bern

Zu dieser interessanten Thematik hielt Prof. Dr. med. Andreas Raabe, Klinikdirektor der Universitätsklinik für Neurochirurgie des Inselspitals Bern, einen Vortrag im Rahmen einer Podiumsdiskussion während der Woche des Gehirns 2023. Dabei handelt es sich um eine Veranstaltungsreihe, die die Klinischen Neurowissenschaften Bern (CNB) jährlich organisieren und deren Themen rund um Hirn, Psyche und Gesundheit immer wieder grossen Anklang in der Bevölkerung finden.

Können Roboter die Neurochirurgin oder den Neurochirurgen ersetzen?

Obwohl die zukünftige Entwicklung der Medizinrobotik natürlich nicht genau vorausgesagt werden kann, wagt Andreas Raabe am Ende seines Vortrags eine Prognose. Dafür geht er vier konkreten Fragen nach:

1. Wie operieren Neurochirurginnen und Neurochirurgen heute?

Neurochirurginnen und Neurochirurgen operieren generell an heiklen Stellen in sehr engen Strukturen und meistens mit sehr grosser Vergrösserung unter dem Operationsmikroskop. Fast immer geht es um Strukturen, die im Verborgenen liegen und sichtbar gemacht werden müssen. Mit dem blossen Auge lässt sich ein Funktionszentrum im Hirn nicht erkennen, ein Tumor nicht vom gesunden Gewebe unterscheiden. Deswegen wird heute mit eingeblendeten Konturen von vor der Operation aufgenommenen Bildern operiert (Augmented Reality), Strukturen sichtbar gemacht mit Kontrastmittel oder Fluoreszenz, Funktionszentren des Hirns neurophysiologisch mit Mikroströmen überwacht (Monitoring) oder mit einer Art Such-Radar aufgespürt (Mapping). Neurochirurgische Operationen sind also in hohem Masse technologisch unterstützt.

2. Was können Roboter in der Medizin schon heute?

Roboter können vor allem eines gut: präzise, repetitive Bewegungen. Der Roboter operiert nicht selbst, er ist vielmehr die zitterfreie Hand der Chirurgin oder des Chirurgen. Andreas Raabe nennt dies Robotics 1.0 – die chirurgengeleitete Robotik. Als Beispiel nennt er den Da Vinci-Operationsroboter, der bei sogenannten Schlüssellochoperationen die Handbewegungen des Operateurs präzise auf die Operationsinstrumente übertragt und deshalb eigentlich gar kein Roboter im eigentlichen Sinne ist, sondern vielmehr ein reiner «Manipulator».

Unter Robotics 2.0 versteht Andreas Raabe dann die bildgeleitete Robotik, die schon einen Schritt weiter ist. Hier errechnet der Roboter mit Hilfe der medizinischen Patientenbilder zum Beispiel den korrekten Eindringwinkel für eine präzise Schraubenlage während einer Wirbelsäulenoperation und führt diese dann ebenso präzise aus.

Zur Marktreife gebracht hat diese Form der Robotics 2.0 beispielsweise das Berner Medizintechnikunternehmen Cascination AG. Ihre roboter- und bildgestützten Lösungen ermöglichen effiziente und sichere Eingriffe. So garantiert etwa die robotergestützte Cochlea-Implantation, einer der komplexesten mikrochirurgischen Eingriffe, einen minimalinvasiven und hochpräzisen Zugang zum Innenohr. Die robotergestützte Bohrgenauigkeit liegt dabei im Zentelmillimeterbereich, so dass die Bohrung sicher durch das Mittelohr am Gesichtsnerv vorbei erfolgen kann. Mit ihrer bildgestützten Roboterchirurgie schreibt Cascination AG Schweizer Medizingeschichte, so Andreas Raabe. Doch der Weg geht noch weiter.

3. Was werden Roboter in der Zukunft wahrscheinlich können?

Der nächste Schritt in der Medizinrobotik, also sozusagen Robotics 3.0, ist nach Andreas Raabe die sensorgestützte, intelligente Robotik. Diese zukünftigen Roboter verfügen dann wohl auch über eine taktile Intelligenz, mit der sie etwa Ströme, Blutflüsse, Dichte und Widerstände viel feiner spüren und messen können als Menschen.

4. Was werden Roboter in der Zukunft wohl eher nicht können?

Aber wo sind nun die Grenzen der Robotik erreicht? Wo ist der Mensch der Maschine überlegen? Andreas Raabe hat darauf eine Antwort: Der Roboter ist exzellent in der Ausführung repetitiver Dinge und stösst genau da an seine Grenze, wo es um nicht repetitive, dynamische Prozesse geht. Wenn beispielsweise eine unvorhergesehene Situation am Operationstisch auftritt, eine plötzlich auftretende Blutung, eine sich verschiebende Struktur, eine Blutdruckkrise, dann ist ein Roboter schlichtweg überfordert. Er kann keine komplexen Entscheidungen treffen oder sich dynamisch verändernde Faktoren berücksichtigen. Seine Grenzen liegen in der programmierten Rationalität und Logik. Für eine schnelle, situationsangemessene Entscheidung braucht es die Chirurgin oder den Chirurgen.

Prognose

Und aus genau diesem Grund kommt Andreas Raabe am Ende seines Vortrags zu seiner Prognose. Und die lautet: Nein, Roboter werden die Neurochirurgin oder den Neurochirurgen nicht ablösen. Jedenfalls nicht so schnell.

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