Moderne magnetresonanztomografische Verfahren erlauben neben einer hochauflösenden Darstellung der Hirnstrukturen auch eine bildliche Darstellung der Konnektivität, also der Faserverbindungen zwischen den einzelnen Bereichen und Zentren im Gehirn. Dies ist vor allem wichtig bei der Planung von Operationen, die in der Nähe von kritischen Faserverbindungen wie der Sehbahn oder der motorischen Bahnen stattfinden. In der Neurochirurgie des Inselspitals wird das Fiber Tracking bei speziell auserwählten Operationen routinemässige eingesetzt, um eine maximale Patientensicherheit und ein bestmögliches Ergebnis nach der Operation zu gewährleisten. In diesem Artikel erhalten Sie grundlegende Informationen dazu, wie die Fiber-Tracking-Technologie bei uns Verwendung findet.

Wie wurde die Fiber-Tracking-Technologie entwickelt?
Als Fiber Tracking oder auch Diffusions-Tensor-Bildgebung bezeichnet man die Visualisierung von Faserbündeln, welche funktionelle Zentren im Gehirn (z. B. die motorische Sprachproduktion und das Sprachverständnis) miteinander verbinden. Man kann diese Visualisierung entweder in die präoperative Zugangsplanung einbeziehen oder auch direkt während der Operation in das Operationsmikroskop des Chirurgen während der Operation einblenden lassen.
Die ersten Veröffentlichungen zur Diffusions-Tensor-Bildgebung erfolgten bereits in den 80er Jahren *,*. Die Technologie wurde seitdem ständig weiter verbessert. Das Verfahren nutzt dabei einen Effekt, den fliessendes Wasser auf die kernspintomografische Bildgebung ausübt. In einem Wasserglas beispielsweise kann Wasser in alle Richtungen gleichmässig fliessen. Eine Bevorzugung irgendeiner Richtung besteht dabei nicht. Man könnte so bei einer Kernspintomografie des Wasserglases an jedem Punkt eine sogenannte «Isotropie», also eine Richtungsunabhängigkeit, messen. Im Gehirn befindet sich Wasser zum einen in Blutgefässen, zum anderen im Gewebe innerhalb der Nervenzellen und den sie umgebenden Bindegewebszellen. In grösseren Faserbündeln fliesst Wasser bevorzugt in Richtung der Fasern. Man spricht von einer «fokalen Anisotropie», also einer Richtungsabhängigkeit. Diese lässt sich durch spezielle kernspintomografische Messungen für jeden Punkt im Gehirn bestimmen und wird durch einen «Eigenvektor» beschrieben.
Eine Weiterentwicklung der Methodik stellte die 1999 erstmals von Sinisa Pajevic und Carlo Pierpaoli gezeigte Farbcodierung dar, bei der Fasern in Kopf-Fuss-Richtung blau dargestellt, Fasern in Links-rechts-Richtung rot dargestellt und Fasern in Vorn-hinten-Richtung grün dargestellt sind *. Dadurch wurde es beispielsweise möglich, beispielsweise die Pyramidenbahn als starke, tiefblaue Struktur darzustellen, die die Nervenzellen im Hirnmantel, mit dem Rückenmark verbindet, was unter anderem für die Bewegung von Armen und Beinen essenziell ist.
Trotz dieser Fortschritte bestanden weiterhin Einschränkungen in der bildgebenden Auflösung. Im Jahr 2012 wurde dann das sogenannte High Definition Fiber Tracking (HDFT) entwickelt, basierend auf der bisherigen Technologie *. Damit konnten nun auch sich überkreuzende Faserverbindungen bis auf wenige Ausnahmen korrekt dargestellt sowie Ursprungs- und Zielpunkt der Faserverbindung präziser bestimmt werden. Für die heutige neurochirurgische Anwendung hat dieses neue Verfahren grundlegende Möglichkeiten in der Operationsplanung eröffnet, da mit dem High Definition Fiber Tracking nun auch akkurat der exakte Verlauf der Hirnnerven dargestellt werden konnte, was bislang nur eingeschränkt möglich war *. Ebenso können mit dieser neuen Methodik nun auch wichtige Faserbündel wie beispielsweise die Sehbahn präzise dargestellt werden. Dies macht Eingriffe in Nähe dieser funktionellen Zentren viel sicherer für den Patienten.
Wie wird das Fiber Tracking am Inselspital eingesetzt?
Wenn sich Hirntumoren in der Nähe funktioneller Bahnen befinden, setzen wir das Fiber Tracking standardmässig bei unserer Operationsplanung ein. Dies betrifft vor allem Tumoren nahe dem Sprach-, Seh- oder Bewegungszentrum. Vor der Operation wird die Visualisierung der Bahnen beim Patienten individuell erstellt und der Zugang zum Tumor entsprechend geplant.
Das Ziel ist dabei eine radikale Entfernung auch bei Tumoren in wichtigen funktionellen Arealen des Gehirns eine radikale Entfernung. Zusammen mit der elektrophysiologischen intraoperativen Testung erreichen wir so für unsere Patienten eine maximale Radikalität bei minimaler Invasivität und wichtigem Funktionserhalt.
Die Planung basiert dabei auf Daten, die ein Computer errechnet hat und die prinzipiell auch durch technische Fehler beeinflusst sein können. Ausserdem ist die Auflösung der zugrundeliegenden Magnetresonanztomografien (MRT oder MRI von engl. Magnetic Resonance Imaging) begrenzt, so dass nicht einzelne Nerven, sondern nur Bündel von vielen tausend Nervenfasern gemeinsam untersucht werden können. Trotz moderner bildgebender Verfahren wie dem High Definition Fiber Tracking ergeben sich auch weiterhin unerwartete Abbrüche der rekonstruierten Fasern an Kreuzungsstellen und im Bereich von Fasern, die auf engem Raum die Verlaufsrichtung ändern. Die relevanten Fasern herauszusuchen, auf ihre Plausibilität zu prüfen und sie für die Verwendung zur Operationsplanung vorzubereiten, ist Aufgabe eines Spezialisten.
Damit Operationen für den Patienten zukünftig noch sicherer werden, bilden die Erforschung und Weiterentwicklung von innovativen Techniken wie das Fiber Tracking bei uns am Inselspital einen eigenen Forschungsschwerpunkt.
Beispiele von Fiber Tracking in der klinischen Anwendung
- Planung der Fiber Tracks
Wenn eine Operation mit Hilfe von Fiber Tracking stattfinden soll, werden im Vorfeld dafür die speziell benötigten DTI-Sequenzen sowie T2-gewichtete Bildsequenzen in einer 3-Tesla-Magnetresonanztomografie (MRT bzw. MRI von engl. Magnetic Resonance Imaging) erstellt und zusammengefügt. Mittels eines automatischen Algorithmus werden Artefakte (Eddy-Current-Artefakte und Bewegungsartefakte) automatisch eliminiert. Zur Berechnung der gewünschten Faserbündel wird nun eine sogenannte Region of Interests (ROI) über die relevanten anatomischen Landmarken in der T2-gewichteten MRI-Bildgebung gelegt. Ausserdem wählt man die Parameter für die fraktionale Anisotropie und Faserbündellänge aus. Um beispielsweise die Pyramidenbahn zu berechnen werden die Regions of Interest entlang den bildgebenden anatomischen Landmarken der Pyramidenbahn auf den T2-gewichteten Bildern eingezeichnet: Gyrus precentralis, Capsula interna sowie Teile des Pedunculus cerebri. Mit den richtig gewählten Einstellungsparametern erhält man ein homogenes Faserbündel, welche den Verlauf der Pyramidenbahn darstellt.
Markierung der Regions of Interest (ROI). In T2-gewichteten MRI-Bildern werden die Regions of Interest (ROI) zur Berechnung der Pyramidenbahn markiert. Die Pyramidenbahn (Tractus corticospinalis) nimmt ihren Ursprung im Gyrus precentralis (linkes Bild) und verläuft über das Crus cerebri (rechtes Bild) in das Rückenmark. Bild: Nowacki et. al. 2018, JNS - Anwendung von Fiber Tracking in der Tumorchirurgie bei eloquent gelegenen Hirntumoren
Sollte ein Tumor in der Nähe eines wichtigen Faserbündels liegen ist ein Fiber Tracking notwendig um die maximale Patientensicherheit zu gewährleisten. Oftmals sind die Grenzen zwischen gesundem Gehirngewebe und Tumorgewebe nicht eindeutig abzugrenzen und der genaue Verlauf der Faserbündel in Relation zum Tumor gibt dem Operateur wichtige Zusatzinformationen, die mit den Augen des Operateurs intraoperativ nicht sichtbar sind. Zusammen mit anderen Techniken wie beispielsweise dem intraoperativen Neuromonitoring stehen dem Chirurg mehrere Möglichkeiten zu Verfügung um sicherzugehen, dass keine kritischen Strukturen während der Operation verletzt werden. Insbesondere Faserverbindungen, welche für die grundlegenden menschliche Funktionen wie Sprache, Sehen und Bewegung notwendig sind, werden mit einem hohen Aufwand vor ungewollten Beschädigungen geschützt.
Fiber Tracking in der Tumorchirurgie. (Links) Der zu entfernende Tumor (T) liegt in unmittelbarer Nähe zum Fasciculus arcuatus (AF). Das mittlere Bild zeigt die genutzten Seed Voxels of Interest (VOI), welche zur Berechnung des Faserbündels herangezogen wurden. Rechts zeigt sich der Verlauf des Fasciculus arcuatus mit dem Broca- (B) und Wernickezentrum (W) am jeweiligen Ende des Faserbündels. Bild: Stieglitz et. al. 2012, Neurosurgery Eloquente Areale. Diese Abbildung zeigt einen Tumor (orange) inmitten funktionell wichtiger Areale: Tractus corticospinalis (blau), Tractus opticus (gelb) und Fasciculus arcuatus (grün) Bild: Universitätsklinik für Neurochirurgie, Inselspital Bern © CC BY-NC 4.0 Kortikospinaler Trakt. Der kortikospinale Trakt (gelb und blau) ist hier als Faserbahn der motorischen Funktion in Relation zu einem Tumor (orange) dargestellt. Bild: Universitätsklinik für Neurochirurgie, Inselspital Bern © CC BY-NC 4.0 Sehbahn (Tractus opticus). Diese Abbildung verdeutlicht, wie der Tractus opticus (grün) um das Ventrikelsystem (lila) herum verläuft. Bild: Universitätsklinik für Neurochirurgie, Inselspital Bern © CC BY-NC 4.0 - Anwendung von Fiber Tracking bei der tiefen Hirnstimulation (DBS von engl. Deep Brain Stimulation)
Fiber Tracking beim essenziellen Tremor
Beim essenziellen Tremor verwenden wir das Fiber Tracking zur Darstellung des dentatorubrothalamischen Trakts (DRTT) zur Planung einer Stimulation funktioneller Bahnen. Dies ergänzt die herkömmliche rein anatomischen Planung. Der dentatorubrothalamische Trakt (DRTT) befindet sich im posterioren subthalamicschen Areal (PSA) und ist einer der Zielpunkte bei der tiefen Hirnstimulation (DBS von engl. Deep Brain Stimulation) zur Behandlung von einem essenziellen Tremor *. Die exakte Lokalisierung ist unumgänglich bei der Operationsplanung, um eine präzise Stimulation des Trakts zu ermöglichen. Mittels Fiber Tracking können der Trakt visualisiert und die Zielpunkte für die DBS-Elektrodenimplantation optimal ermittelt werden.
Fiber Tracking und tiefe Hirnstimulation. Das linke Bild zeigt die Visualisierung des dentatorubrothalamischen Trakts (DRTT) zur Planung der korrekten Elektrodenimplantation (rot) bei einer tiefen Hirnstimulation (DBS). Das rechte Bild zeigt die exakte Ziellokalisation, damit die Stimulation direkt neben dem DRTT stattfinden kann. Bild: Universitätsklinik für Neurochirurgie, Inselspital Bern © CC BY-NC 4.0 Fiber Tracking bei Depression
DBS bei Depressionen. Es zeigt sich auf dem linken Bild eine 3D-Rekonstruktion des rechten (rot) und linken (grün) medialen Vorderhirnbündels. Der superolaterale Anteil dieser Faserverbindung ist der Zielpunkt (weisse Punkte) für die Elektrodenplatzierung bei der tiefen Hirnstimulation (rechtes Bild). Bild: Fenoy et. al. 2016, J Affect Disord Ein weiterer klinischer Anwendungsbereich für das Fiber Tracking am Inselspital stellt die Therapie mittels tiefer Hirnstimulation (DBS von engl. Deep Brain Stimulation) bei schweren Fällen von Depression dar, die auf die übliche Therapie nicht ansprechen. Es wurde in medizinischen Studien gezeigt, dass die Stimulation des superolateralen Anteils des medialen Vorderhirnbündels einen positiven Therapieeffekt bei refraktären Depressionen hat *. Um das Faserbündel korrekt zu identifizieren und die Zielkoordinaten für die DBS festzulegen, ist im Vorfeld des Eingriffs ein Fiber Tracking notwendig.
Referenzen
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