Die idiopathische intrakranielle Hypertension (IIH), früher auch als Pseudotumor cerebri bezeichnet, ist ein seltenes und häufig verkanntes Krankheitsbild. Klinisch stehen meist chronische Kopfschmerzen und Sehstörungen im Vordergrund. Zurückzuführen sind diese Beschwerden auf einen erhöhten Hirndruck, für den sich keine organische Ursache finden lässt. Dank der modernen Neurochirurgie und Neuroradiologie stehen heutzutage verschiedene Therapieoptionen für dieses seltene Krankheitsbild zur Verfügung.
Wie häufig ist die idiopathische intrakranielle Hypertension?
Es handelt sich um ein seltenes Krankheitsbild, das mit einer Häufigkeit von 1–21 pro 100 000 Einwohner auftritt. Am häufigsten sind Frauen im jüngeren bis mittleren Lebensalter betroffen. Dabei scheinen hormonelle Einflüsse durchaus eine wichtige und noch ungeklärte Rolle zu spielen. Deshalb gelten Schwangerschaften ebenfalls als Risikofaktor für eine IIH. In 37 % aller Fälle sind Kinder betroffen – Jungen und Mädchen gleichermassen. Von den erkrankten Kindern sind 90 % im Alter zwischen 5 und 15 Jahren.
Welche Symptome verursacht eine idiopathische intrakranielle Hypertension?
Bei einer IIH können zahlreiche unterschiedliche Symptome auftreten, die denen eines Hirntumors entsprechen.
Die häufigsten Symptome sind:
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- Übelkeit
- Sehstörungen (verschwommenes Sehen, Doppelbilder, Gesichtsfeldeinschränkungen)
Die Kopfschmerzen sind dabei im Unterschied zum Liquorverlustsyndrom beim Liegen verstärkt.
Durch eine Schädigung des Sehnervs kann es von leichten Einschränkungen der Sehschärfe und des Gesichtsfelds bis hin zur kompletten Einengung des Gesichtsfelds oder sogar zur Erblindung kommen, was bei bis zu 12 % der Patienten der Fall ist. Durch Irritation des Nervus abducens können auch Doppelbilder als Symptome auftreten.
Ferner beschreiben einige Patienten auch einen pulssynchronen Tinnitus sowie Augen- oder Nackenschmerzen bzw. Nackensteifigkeit.
Die Symptome können sowohl schleichend als auch sehr rasch zunehmen und sind meist nicht spezifisch, weshalb sie zu Beginn der Erkrankung oft nicht richtig eingeordnet werden.
Was ist die Ursache für eine idiopathische intrakranielle Hypertension?
Wie der Name bereits sagt, sind die Ursachen der IIH weitestgehend unbekannt. In der Theorie führt man die Erkrankung auf mechanische Abflussbehinderungen des venösen Rückstroms aus dem Kopf zurück. Auslösende Faktoren könnten Übergewicht (Adipositas bei 11–90 % der Betroffenen) oder eine Überproduktion von Hirnflüssigkeit sein.
In epidemiologischen Studien wurden verschiedene Faktoren untersucht, die mit dem Vorkommen der idiopathischen intrakraniellen Hypertension in Zusammenhang stehen könnten. Dabei gelten die im Folgenden zuoberst genannten Einflüsse als sehr wahrscheinlich und nehmen dann in ihrer Wahrscheinlichkeit nach unten immer weiter ab:
- Übergewicht
- chemische Stoffe (Ketone, Lindan)
- Vitamin-A-Überdosierung
- Absetzen von Steroiden
- Thyroxingabe bei Kindern
- Hypoparathyreoidismus
- Addison-Krise
- Urämie
- Eisenmangelanämie
- Medikamente (Tetrazykline, Danazol, Lithium, Tamoxifen, Amiodaron, Phenytoin, Ciprofloxacin u. a.)
- Menstruationsunregelmässigkeiten
- orale Kontrazeptiva
- Cushing-Syndrom
- Vitamin-A-Mangel
- leichtes Schädelhirntrauma
- Morbus Behçet
- Hyperthyreoidismus
- Steroideinnahme
- Impfungen
- Schwangerschaft
- Menarche
- systemischer Lupus erythematodes
- Mittelohrentzündung mit Schädelbasisbeteiligung
- radikale Tumoroperationen im Halsbereich
Häufig werden auch eine Sinus- oder Hirnvenenthrombose mit der Erkrankung assoziiert. Inwieweit sie Ursache oder Folge der gesteigerten intrakraniellen Druckverhältnisse ist, konnte bislang nicht geklärt werden. Bei den betroffenen Patienten können endovaskuläre Eingriffe mit Dilatation und Stenting eine Therapieoption sein.
Wie wird eine idiopathische intrakranielle Hypertension diagnostiziert?
Es handelt sich bei der idiopathisch intrakraniellen Hypertension um eine Ausschlussdiagnose. Das bedeutet, man sucht nach strukturellen Ursachen für den erhöhten intrakraniellen Druck. Ein erster Hinweis auf eine IIH ergibt sich aus den klinischen Beschwerden und der Krankengeschichte des Patienten unter Berücksichtigung der oben erwähnten Risikofaktoren. Wird in der Abklärung kein Grund für den gesteigerten Hirndruck gefunden, kann die Diagnose der idiopathisch intrakraniellen Hypertension gestellt werden.
Klinische Untersuchung
In der klinischen Untersuchung findet sich oft ein unauffälliger neurologischer Status. Bei Betroffenen muss eine Augenuntersuchung durchgeführt werden wegen des Risikos für eine beidseitige Stauungspapille. Seltener sind ein- oder beidseitige Lähmungen des Augennervs Nervus abducens, eine Sehschärfen- oder Gesichtsfeldminderung. Des Weiteren kann eine laborchemische Hypophyseninsuffizienz mit mangelhafter Reaktion auf Hypophysenstimulation nachgewiesen werden.
Bildgebung
Eine kraniale Bildgebung mittels Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT bzw. MRI von engl. Magnetic Resonance Imaging) dient zum Ausschluss eines Hydrozephalus, einer intrakraniellen Raumforderung oder anderweitigen Pathologien als Ursache für den erhöhten Schädeldruck. Für die IIH existiert kein für sich alleine genommen hinreichend sicheres Diagnosekriterium in der Bildgebung. Die MRI-Bildgebung liefert meist nur unspezifische Befunde.
Immer wieder werden auch Thrombosen der ableitenden Hirnvenen beschrieben. Inwieweit diese ursächlich oder Folge des gesteigerten intrakraniellen Drucks sind, ist bisher nicht geklärt. Daher kann bei Nachweis einer Sinusvenenthrombose auch eine zerebrale Angiografie der hirnversorgenden Gefässe notwendig sein.
Lumbalpunktion
Nach der klinischen Untersuchung und Bildgebung wird eine Lumbalpunktion durchgeführt. Zum einen wird dabei der Eröffnungsdruck gemessen, der ab einem Wert von 20–25 cm H2O als erhöht eingestuft wird, zum anderen werden Laboruntersuchungen des Liquors veranlasst.
Wie wird eine idiopathische intrakranielle Hypertension behandelt?
Die Behandlungsmöglichkeiten bei einer idiopathischen intrakraniellen Hypertension werden in stufenweiser Eskalation – abhängig von der Schwere der Symptome – eingesetzt. Meist kommt es innerhalb eines Jahres zu einer spontanen Besserung der Symptomatik, auch wenn in den Verlaufskontrollen eine Stauungspapille noch länger nachgewiesen werden kann.
Abhängig von der Art der Beschwerden bei Erstdiagnose muss eine individuelle Behandlungsstrategie gefunden und dem Verlauf der Erkrankung angepasst werden. Nach der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) wird ein stufenweises Vorgehen empfohlen:
IIH ohne neurologische Ausfälle
Bei milden Beschwerden (Kopfschmerzen ohne Sehstörungen) ist in erster Linie eine konservative Behandlung empfohlen. Mögliche Auslöser der idiopathischen intrakraniellen Hypertension müssen identifiziert werden, um diesen entgegenzuwirken.
Grundlegend für einen anhaltenden Therapieerfolg ist immer die konsequente und dauerhafte Gewichtssenkung. Ergänzend kann zur Verminderung der Liquorproduktion das Medikament Acetazolamid, ein Carboanhydrasehemmer, eingenommen werden. Eine Alternative ist Topiramat (ein weiterer Carboanhydrasehemmer), was auch zu einer Gewichtsreduktion führt. Gegebenenfalls wird ergänzend Furosemid (ein Diuretikum) zur Ausscheidung von Körperwasser eingesetzt.
IIH mit mittelgradigen neurologischen Ausfällen
Bei Verminderung der Sehschärfe, die jedoch ohne rasche Verschlechterung verläuft, wird zusätzlich zu den oben genannten Massnahmen eine therapeutische Liquorpunktion durchgeführt. Dabei werden mehrere Milliliter Liquor abgelassen, um den Hirndruck unmittelbar zu senken. Schon nach der ersten Punktion bessern sich die Symptome bei einem Viertel der Patienten. Die Punktion wird in kurzfristigen Abständen und bei Besserung der Beschwerden in grösseren Abständen wiederholt, bis die Therapie beendet werden kann.
Nur in Fällen, bei denen wegen anhaltenden oder zunehmenden Symptomen die wiederholten Liquorpunktionen nicht gestoppt werden können, muss operativ eine dauerhafte Liquorableitung gelegt werden. Hierfür gibt es mehrere chirurgische Verfahren:
- Das gängigste Verfahren ist das Legen eines ventrikuloperitonealen Shunts.
- Weniger gebräuchliche Alternativen sind die lumboperitoneale Ableitung vom spinalen Nervenwasserkanal in den Bauchraum oder vom Ventrikel bis in den Herzvorhof.
- Bei nicht ausreichender Gewichtsreduktion ist eine Adipositaschirurgie zu erwägen.
IIH mit schweren und/oder rasch progredienten neurologischen Ausfällen
Bei rascher Verschlechterung der Sehschärfe oder des Gesichtsfelds ist ein schnelles Handeln erforderlich. Der Hirndruck muss konsequent gesenkt werden. Falls die konservative Behandlung keine unmittelbare Besserung der Beschwerden bringt, muss über ein chirurgisches Vorgehen entschieden werden. Neben der oben erwähnten Shuntableitung des Nervenwassers gibt es die Möglichkeit der mikrochirurgischen Fenestration der Sehnervenhülle. Diese führt zu einer unmittelbaren Druckentlastung und Erholung des Nervs. Dieses Vorgehen ist nur in sehr seltenen Fällen notwendig.
Neuartige experimentelle Therapien
Im Jahre 2002 veröffentlichten Higgins et al. * ein neues Verfahren: die erste kathetergestützte Intervention im Sinne eines Sinus Stenting bei einem Patienten mit bilateralen distalen Sinus-transversus-Stenosen, die mit üblichen Mitteln nicht therapiebar war. Der Eingriff führte zu einer deutlichen Symptombesserung. Diese Methoden zählt jedoch nicht zu den Standardverfahren bei IIH und kommt nur bei sehr genau ausgewählten Patienten und ausschliesslich in spezialisierten Zentren wie dem Inselspital zur Anwendung. Über Erfolgsquoten und Langzeitverläufe gibt es bisher nur wenige Daten.
Wie ist die Prognose bei einer idiopathischen intrakraniellen Hypertension?
Da es sehr unterschiedliche Therapiemöglichkeiten bei einer idiopathischen intrakraniellen Hypertension gibt, müssen die Massnahmen und Verhaltensregeln auf den Patienten individuell abgestimmt und mit ihm im Detail besprochen werden.
Grundsätzlich sind unsere Patienten nach jeder Behandlung rasch wieder mobilisierbar und bleiben nur wenige Tage zur Beobachtung im Spital. Je nach klinischem Zustand ist ein Austritt nach Hause möglich. Wenn neurologische Störungen vorliegen, sollte in Absprache mit dem Patienten eine Rehabilitation in Betracht gezogen werden.
In etwa 10 % der Fälle kann es zu einem Rezidiv der idiopathischen intrakraniellen Hypertension kommen. Ein permanenter Verlust der Sehkraft kann bei 76–98 % der Patienten verhindert werden. Anhaltende Kopfschmerzen können bei einzelnen Patienten vorkommen.
Weiterführende Literatur
Biousse V, Bruce BB, Newman NJ. Update on the pathophysiology and management of idiopathic intracranial hypertension. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2012;83:488-494.
Kanagalingam S, Subramanian PS. Cerebral venous sinus stenting for pseudotumor cerebri: A review. Saudi J Ophthalmol. 2015;29:3-8.
Wong R, Madill SA, Pandey P, Riordan-Eva P. Idiopathic intracranial hypertension: the association between weight loss and the requirement for systemic treatment. BMC Ophthalmol. 2007;7:15.
Referenzen
-
Higgins JN, Owler BK, Cousins C, Pickard JD. Venous sinus stenting for refractory benign intracranial hypertension. Lancet. 2002;359:228-230.