Radiochirurgie, zu Deutsch «Strahlenmesser», ist eine Form der Strahlentherapie und ein wichtiger Bestandteil der modernen Neurochirurgie. Diese anspruchsvolle Technologie erlaubt die Konzentration von hochenergetischer Strahlung auf einen bestimmten Zielpunkt – und dies mit millimetergenauer Präzision. So lässt sich der Behandlungseffekt der Strahlung auf das kranke Gewebe maximieren, ohne dabei das gesunde Hirngewebe zu schädigen.

Warum ist Radiochirurgie so wichtig für die Neurochirurgie?

Bestimmte Operationen in spezifische Hirnregionen sind sehr risikobehaftet. Eine Operation in diesen Regionen kann ganz oder auch teilweise vermieden werden, wenn man stattdessen einen Tumorrest radiochirurgisch behandelt.

Welche Erkrankungen können mit der Radiochirurgie behandelt werden?

Eine Vielzahl von verschiedenen Erkrankungen lässt sich mit Radiochirurgie behandeln. Dazu gehört die Therapie verschiedener gut- oder bösartiger Hirntumoren, Gefässmissbildungen sowie funktionelle Störungen (wie z. B. Trigeminusneuralgie, fokale Epilepsie oder Tremor). Die Radiochirurgie kann dabei alleine oder in Kombination mit mikrochirurgischen oder endovaskulären Techniken eingesetzt werden. Um für jeden einzelnen Patienten die für ihn bestmögliche Behandlung zu erzielen, wird bei uns am Inselspital jeder Patientenfall einzeln von einem interdisziplinären Ärzteteam evaluiert und diskutiert. Gemeinsam werden die Patienten festgelegt, bei denen eine Radiochirurgie indiziert ist.

Wie funktioniert die Radiochirurgie?

Die Empfindlichkeit von Zellen gegenüber ionisierender Strahlung ist in den verschiedenen Körpergeweben sehr unterschiedlich und hängt in hohem Masse davon ab, wie schnell sich ein Gewebe regeneriert bzw. wie schnell es wächst. Dabei gibt es in jedem Gewebe und auch in Tumoren Zellen, die sehr unempfindlich auf Strahlung reagieren, da sie sich in einer Art „Schlafzustand“ befinden. Das bedeutet, dass ihr Erbgut, die DNA, stark kompaktiert vorliegt und Reparaturmechanismen wirksam die durch die Bestrahlung verursachten DNA-Schäden ausgleichen können. Der Mediziner bezeichnet diese Ruhephase der Zellen als sogenannte G0-Phase.

Bei sich schnell teilenden Geweben befindet sich zu jedem Zeitpunkt ein grosser Anteil der Zellen in der Phase der Zellteilung. Während der Zellteilungsphase ist das Erbgut besonders empfindlich gegenüber ionisierenden Strahlen.

Bei konventioneller (fraktionierter) Bestrahlung versucht man, den Anteil der zerstörten Tumorzellen zu erhöhen, indem man mehrere Tage in Folge bestrahlt. Die Radiochirurgie nutzt hingegen durch das besondere Verfahren der Strahlenfokussierung den Umstand aus, dass auch Zellen in Ruhephasen durch eine sehr hohe Strahlendosis ausreichend geschädigt werden können.

Welches Gerät wird für die Radiochirurgie eingesetzt?

An unserer Klinik kommt eines der modernsten Geräte zur radiochirugischen Behandlung, das sogenannte CyberKnife®, zum Einsatz. Die CyberKnife®-Technologie besteht aus einem robotergesteuerten Linearbeschleuniger mit integrierter Bildführung, einem Tumor-Ortungssystem und gleichzeitiger Atemkompensation. Das CyberKnife® ist das einzige nichtinvasive, robotergesteuerte radiochirurgische System für die hochkomplexe und millimetergenaue Bestrahlung von Tumoren an beliebigen Stellen des Körpers. Das Zusammenspiel dieser Technologien ermöglicht eine Bestrahlung aus über tausend verschiedenen Winkeln. Dadurch können auch Tumoren oder Metastasen in so sensiblen Körperbereichen wie die Hirnregion unter maximaler Schonung des umliegenden, gesunden Gewebes sicher bestrahlt werden. Neu verfügt das CyberKnife®-Gerät auch über einen hochauflösenden, sich der Tumorform anpassenden Multilamellenkollimator (multileaf collimator, MLC), mit welchem nun auch grössere Tumoren rasch und hochpräzise bestrahlt werden können.

Anders als beim sehr verbreiteten Gamma-Knife wird die Strahlung nicht von einer radioaktiven Substanz (Cobalt-60) erzeugt, sondern von einem Apparat ähnlich einer Röntgenröhre, einem Linearbeschleuniger. Dadurch ist die austretende Strahlendosis genau bekannt und nimmt nicht mit dem Alter (und Zerfall) der Strahlenquelle ab.

Wie läuft die radiochirurgische Behandlung ab?

Während der Vorbereitung und Durchführung der Bestrahlung arbeiten Neurochirurg, Radioonkologe, Physiker und Fachpersonen der medizinisch-technischen Radiologie (MTRA) eng zusammen. Um eine präzise Radiotherapie zu gewährleisten benötigen wir für die Planung bildgebende Verfahren wie Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT oder MRI von engl. für Magnet Resonance Imaging).

Stereotaktische Bestrahlung

Die Erstkonsultation

Während der ersten ambulanten Konsultation werden Sie vom Arzt über Ablauf, Ergebnisse, Risiken und eventuelle Nebenwirkungen der Behandlung (Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel) aufgeklärt. Kommt eine Bestrahlung in Frage, werden Sie schriftlich über Ihren Bestrahlungstermin informiert.

Für die Behandlung mit dem CyberKnife® ist vorab die Anfertigung einer Maske notwendig.


Die Maske

Die Bestrahlungsmaske besteht aus vier Schichten, die jeweils in warmem Wasser weich gemacht werden, um sie exakt an Ihre Kopf- und Gesichtsform anzupassen. Ähnlich wie beim stereotaktischen Rahmen wird an der Maske eine Plexiglasbox festgeschraubt, welche ein dreidimensionales Koordinatensystem für die CT-Bildgebung repräsentiert. Damit können das Volumen der Läsion oder der zu behandelnden Region und die Grenzen der zu bestrahlenden Felder genau bestimmt werden. Der stereotaktische Rahmen wird am Tag der Behandlung unter Lokalanästhesie angelegt und unmittelbar nach der Bestrahlung abgenommen. Für die Herstellung der Maske werden ein oder mehrere ambulante Termine benötigt.


Die notwendige Bildgebung

Neben dem Termin für die Bestrahlung werden Sie für MRI- und CT-Untersuchungen aufgeboten. Eventuell wird Ihnen Blut abgenommen, um die Blutwerte für die Nierenfunktion zu bestimmen. Dies ist notwendig, wenn bei der bildgebenden Untersuchung ein Kontrastmittel gespritzt werden muss. Im Falle einer Angiografie wird diese direkt am Behandlungstag mit der Rahmenanlage durchgeführt (stereotaktische Angiografie).


Die Planung der Behandlung

Physiker, Radioonkologen und Neurochirurgen planen die Bestrahlung auf der Grundlage der CT-Bilder, der MRI-Bilder und anderer Untersuchungen. Sie legen dabei die zu bestrahlenden Parameter fest – unter anderem Grösse, Form und Anordnung der Bestrahlungsfelder. Dieser sehr komplexe Prozess dauert mehrere Stunden. Der vollständige Bestrahlungsplan wird bis zur Erstbestrahlung fertiggestellt.


Die radiochirurgische Behandlung

Ein stereotaktisches CT kann mit Maske durchgeführt werden. Wenn ein Angiogramm benötigt wird, wird dieses separat durchgeführt. Auf dem Behandlungstisch des Bestrahlungsgeräts werden Sie in der Bestrahlungsmaske exakt positioniert, genau in der gleichen Position wie zuvor am CT. Das CyberKnife wird mit der Position des Tumors aufgrund der computertomografischen und magnetresonanztomografischen Bilder programmiert. Mit Hilfe eines integrierten Röntgensystems werden die programmierten Daten mit aktuellen Bildaufnahmen während der Bestrahlung kontinuierlich verglichen und Bewegungen des Tumors (Abweichungen) sofort korrigiert. Die Behandlung wird durch die zuständigen Ärzte und das technische Fachpersonal überwacht. Sie stehen mit dem Patienten per Video- und Sprachübertragung in ständigem Kontakt. Von der Bestrahlung selbst spüren Sie nichts. Die Dauer der Bestrahlung ist abhängig von der Komplexität des Bestrahlungsplans und kann von 20 Minuten bis zu 1,5 Stunden dauern.


Nach der Radiochirurgie

Im Anschluss an die Bestrahlung wird die Maske entfernt. Sie können wieder nach Hause gehen. Auf Grund möglicher Nebenwirkungen bitten wir Sie jedoch, nicht selbst mit dem Auto zu fahren, sondern in Begleitung zu kommen. In gewissen Fällen werden Sie zur Überwachung einen Tag im Inselspital bleiben.


Welche Vorteile hat eine radiochirurgische Behandlung?

Die radiochirurgische Behandlung erfolgt über einen Zeitraum von 1–5 Tagen und kommt ohne eine chirurgische Öffnung des Schädels aus. Aus diesem Grund kann ein Grossteil der Behandlungen ambulant durchgeführt werden, das heisst Ein- und Austritt erfolgen am gleichen Tag. Eine Behandlung dauert zwischen 20 Minuten und 1,5 Stunden – abhängig von der Grösse und Anzahl der zu behandelnden Läsionen. Unsere Patienten können schon nach kurzer Zeit wieder zu ihren täglichen Verpflichtungen zurückkehren. Eine Arbeitsunfähigkeit ist nur für 1–2 Tage einzuplanen. Die radiochirurgische Behandlung wird von der Krankenversicherung übernommen und bedarf keiner individuellen Kostengutsprache.

Was ist der Unterschied zwischen einer radiochirurgischen Behandlung und einer fraktionierten Bestrahlung?

Die radiochirurgische Behandlung ist in der Regel eine sogenannte Einzeitbestrahlung, wird also in einer einzigen Behandlungssitzung verabreicht. Sie unterscheidet sich damit prinzipiell von den fraktionierten Bestrahlungen. Letztere sind nicht in der gleichen Weise fokussiert und erzielen eine weitgehend selektive Schädigung des Tumors dadurch, dass sich das gesunde Gewebe durch die Gabe der Gesamtstrahlendosis in kleinen Portionen (1–2 Gray pro Sitzung) zwischen den Behandlungen wieder erholen kann, während das Gewebe von strahlenempfindlichen und sich schneller teilenden Tumoren dies weniger gut kann. Dies setzt jedoch eine Empfindlichkeit des zu behandelnden Gewebes gegenüber radioaktiver Strahlung voraus.

Die Radiochirurgie kann auch wenig strahlenempfindliche Gewebe behandeln, da die Ärzte aufgrund der millimetergenauen Präzision dieser Technik eine sehr hohe Strahlendosis einsetzen können bei gleichzeitiger Schonung des umgebenden und gleichermassen strahlenempfindlichen Gewebes.

Unsere Erfahrung am Inselspital

Am Inselspital erfolgt jede Indikationsstellung und Planung von radiochirurgischen Behandlungen durch ein interdisziplinäres Expertenteam. So kann für jeden einzelnen Patienten die für ihn bestmögliche Behandlung erzielt werden.