Medulloblastom

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Medulloblastome sind die häufigsten primären, bösartigen Hirntumoren des Kindesalters. Sie sind für etwa 10 % aller Hirntumoren bei Kindern verantwortlich. Selten kommen sie auch im Erwachsenenalter vor, hier machen sie allerdings nur weniger als 1 % aller Hirntumoren aus. Die häufigste Lokalisation ist im Bereich des Kleinhirns. Die Standardtherapie besteht aus einer Operation und je nach Alter mit einer anschliessenden Chemo- und/oder Bestrahlungstherapie, die individuell angepasst werden. Die Prognose und individuelle Therapie ist zusätzlich stark abhängig vom Tumorsubtyp. 

Klinische Bedeutung

Beim Medulloblastom handelt es sich um einen embryonalen Tumor, das heisst, er geht aus unreifen, undifferenzierten Zellen des Zentralnervensystems (ZNS) hervor und wächst sehr rasch.  Mittlerweile hat man bei der genetischen Analyse der Tumoren 4 molekulare Subgruppen des Medulloblastoms identifiziert, die sich in ihren molekulargenetischen Merkmalen unterscheiden und auch unterschiedliche Prognosen aufweisen.

Medulloblastome sind typischerweise in der hinteren Schädelgrube im Bereich der 4. Hirnwasserkammer (Ventrikel) lokalisiert. Eine Streuung der Tumorzellen über das Hirnwasser (Liquor) in andere Hirnregionen oder den Rückenmarksbereich ist möglich. Am häufigsten infiltriert ein Medulloblastom lokal das Kleinhirn und den Hirnstamm. Eine Ausbreitung in das Grosshirn findet man häufiger bei Erwachsenen.

Aufgrund des schnellen und aggressiven Wachstums von Medulloblastomen können angrenzende, lebenswichtige Strukturen verdrängt und geschädigt werden. Ausserdem kann der Tumor, abhängig von seiner genauen Lokalisation, eine Abflussstörung des Hirnwassers verursachen.

Was sind die Ursachen für ein Medulloblastom?

Ein Medulloblastom entsteht primär durch eine spontane, unvorhersehbare Entartung von Zellen des Nervensystems. Die Ursache für dieses plötzliche und unkontrollierte Zellwachstum ist bisher noch nicht vollständig geklärt. Genetische Faktoren spielen jedoch eine erkennbare Rolle. Weniger als 5 % der Fälle werden mit erblichen Erkrankungen (so genannten Krebsprädispositionen) in Verbindung gebracht. Hierzu gehören:

  • das Gorlin-Goltz-Syndrom
  • das Rubinstein-Taybi-Syndrom
  • das Turcot-Syndrom
  • das Li-Fraumeni-Syndrom

Wer erkrankt an einem Medulloblastom?

Das Erkrankungsalter für Medulloblastome variiert mit dem Subtyp des Tumors. Sie treten typischerweise in zwei Altersgruppen auf: bei Kleinkindern zwischen 3–4 Jahren und bei älteren Kindern zwischen 8–10 Jahren. Bei Erwachsenen sind die Tumoren sehr selten.10–50 % der Medulloblastome haben zum Zeitpunkt der Diagnose schon gestreut. Am häufigsten sind dabei sogenannte Abtropfmetastasen. Diese breiten sich entlang des Subarachnoidalraums oder der spinalen Achse aus. Deutlich seltener sind Metastasen ausserhalb des Nervensystems. Diese kommen bei etwa 5 % der Patienten vor.

Welche Symptome verursacht ein Medulloblastom?

In der Regel entwickeln sich Symptome wegen des schnellen Wachstums innerhalb kurzer Zeit. Bei Beeinträchtigung des Kleinhirns und des 4. Hirnventrikels durch das Medulloblastom kommt es zu Schwindel mit Übelkeit und Erbrechen, Koordinationsproblemen und Bewegungsstörungen wie Gangunsicherheit.

Es kann aber auch vorkommen, dass der Hirnstamm beeinträchtigt wird, was zu Ausfällen von Hirnnerven führen kann. Dies äussert sich in Sehstörungen, Doppelbildern, Gesichtslähmungen o. ä.

Wenn der Hirnwasserabfluss behindert ist, kommt es zu einem Hydrozephalus durch den Aufstau des Liquors mit einem entsprechenden Anstieg des Hirndrucks. Patienten leiden dann unter Symptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen oder ausgeprägte Müdigkeit und Schläfrigkeit. Zudem kann es auch zu Verwirrung und Persönlichkeitsveränderungen kommen. Bei Kleinkindern fällt manchmal ein überdurchschnittlich grosser und schnell wachsender Kopf auf. Diese sogenannte Makrozephalie ist ein Zeichen für den zunehmenden Liquor und steigenden Hirndruck. Betroffene Kinder zeigen sich sehr schläfrig oder reagieren reizbar.

Spinale Metastasen können durch die raumfordernde Wirkung auf das Rückenmark zu Schmerzen und sensomotorischen Ausfällen führen.

Wie wird ein Medulloblastom diagnostiziert?

Im Computertomogramm (CT) sieht das Medulloblastom typischerweise hell aus und nimmt Kontrastmittel auf. Oft sieht man auch Kalkablagerungen im Tumor. Als bildgebender Goldstandard gilt aber die Magnetresonanztomografie (MRT bzw. MRI von engl. Magnetic Resonance Imaging), die neben dem Schädel auch die Wirbelsäule umfassen soll, um mögliche Metastasen im gesamten zentralen Nervensystem auszuschliessen. 

Bei kleinen Kindern kann bei noch offenen Fontanellen Hinweise bereits in der Ultraschall Sonografie des Kopfes gesehen werden.

Ergänzend zur Bildgebung erfolgt eine Lumbalpunktion zur Untersuchung des Liquors, da sich hier gelegentlich Tumorzellen bereits nachweisen lassen.

Eine exakte Diagnosestellung ist jedoch erst nach der histologischen und molekulargenetischen Beurteilung des operativ entnommenen Tumorgewebes möglich. Fortgeschrittene Techniken wie das DNA-Methylom-Profiling und Next-Generation-Sequencing (NGS) haben die Diagnose und Klassifikation von Medulloblastomen erheblich verbessert, indem sie es ermöglichen, die Tumoren auf molekularer Ebene zu charakterisieren *, *.

Klassifikation

Gemäss der neuen WHO-Klassifikation werden Medulloblastome in 4 molekulare Subgruppen * eingeteilt, basierend auf genetischen und molekularen Merkmalen. Diese Unterscheidung hat Auswirkungen auf die Prognose und die Behandlung *:

  • WNT-aktivierte: Diese Tumoren sind mit einer sehr guten Prognose verbunden und zeigen wenig genetische Veränderungen. Sie sind durch das Vorhandensein von Mutationen im beta-Catenin-Gen und Monosomie 6 gekennzeichnet.
  • SHH-aktivierte: Diese Gruppe umfasst Tumoren, die durch Aktivierung des Sonic Hedgehog-Signalwegs charakterisiert sind. SHH-Tumoren, die mit TP53-Mutationen verbunden sind, haben eine schlechtere Prognose.
  • Gruppe 3 und Gruppe 4: Diese Gruppen sind weniger gut charakterisiert als WNT und SHH, zeigen aber unterschiedliche biologische und klinische Verhaltensweisen, was die Behandlung und die Prognose beeinflusst.

Zusätzlich sind noch weitere Subtypen zu differenzieren: vier Subtypen von SHH- und acht Subtypen von Gruppe 3 und Gruppe 4.

Wie behandelt man ein Medulloblastom?

Therapiemöglichkeiten

Die Therapie der Wahl ist die möglichst vollständige mikrochirurgische Resektion des Tumors. Hierbei ist das Resektionsausmass entscheidend und eine komplette Entfernung des Tumorgewebes mit einer besseren Prognose verbunden. Die Planung der Operation und der sich anschliessenden Behandlung geschieht in intensiver Zusammenarbeit eines interdisziplinären Teams bestehend aus Neurochirurgen, Neuroradiologen, Neuropathologen, Onkologen und Radioonkologen.

Eine postoperative Therapie mittels kraniospinaler Bestrahlung und/oder Chemotherapie richtet sich dabei nach individuellen Kriterien wie dem Subtyp des Tumors, dem Patientenalter, dem allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten, der Metastasierung und nicht zuletzt der Toleranz des Patienten gegenüber den Therapiemassnahmen. Bei Kindern unter 3 Jahren wird oft eine intensivierte Chemotherapie eingesetzt, um die Notwendigkeit einer Strahlentherapie hinauszuzögern, da diese hochtoxisch ist und langfristige Nebenwirkungen haben kann. 

Die Zusammenarbeit zwischen Kinderneurochirurgen, Radioonkologen und pädiatrischen Onkologen ist entscheidend, um eine optimale Behandlung zu gewährleisten.

Die neuen Entdeckungen der Subgruppen und Subtypen könnten in Zukunft zu Änderungen der Behandlung führen, wie z. B. eine individuell angepasste Therapie mit unterschiedlichen Behandlungsprotokollen. Insbesondere bei Kindern kann dies zur Minimierung langfristiger therapieassoziierten Nebenwirkungen führen. *,*, *

Erfolgsaussichten

Die Erfolgsaussichten variieren stark nach Subgruppe und Subtyp des Tumors. Bei Kindern unter 3 Jahren hat die Radiotherapie starke Nebenwirkungen (neuropsychologische Defizite, Endokrinopathien), so dass bei so jungen Patienten nur eine postoperative Chemotherapie erfolgt. Das primäre Ziel der chirurgischen Behandlung ist eine sichere minimalinvasive und doch maximal radikale Entfernung des Tumors mit Wiederherstellung des uneingeschränkten Liquorabflusses. Wenn der eigene Liquorabfluss nicht wiederhergestellt werden kann, ist unter Umständenist unter Umständen eine Ableitung wie z. B. ein ventrikuloperitonealer Shunt erforderlich. Hierbei erfolgt die Ableitung des Liquors über einen Katheter unter der Haut in den Bauchraum.

Warum Sie sich am Inselspital behandeln lassen sollten

Je nach Lage des Medulloblastoms besteht ein gewisses Risiko, benachbarte Hirnstrukturen bei einer Operation zu schädigen. Um dieses Komplikationsrisiko so gering wie möglich zu halten, verwenden wir neueste technische Verfahren wie die Neuronavigation und das sogenannte intraoperative Neuromonitoring. Diese erlauben unseren Neurochirurgen, mit maximaler Präzision und Sicherheit zu arbeiten und trotzdem das Maximum an Tumorresektion zu erreichen.

Referenzen

  1. Juraschka K, Taylor MD. Medulloblastoma in the age of molecular subgroups: a review. J Neurosurg Pediatr. 2019 Oct 1;24(4):353-363. doi: 10.3171/2019.5.PEDS18381.

  2. Taylor MD, Northcott PA, Korshunov A, Remke M, Cho YJ, Clifford SC, Eberhart CG, Parsons DW, Rutkowski S, Gajjar A, Ellison DW, Lichter P, Gilbertson RJ, Pomeroy SL, Kool M, Pfister SM. Molecular subgroups of medulloblastoma: the current consensus. Acta Neuropathol. 2012 Apr;123(4):465-72. doi: 10.1007/s00401-011-0922-z.

  3. Louis DN, Perry A, Wesseling P, Brat DJ, Cree IA, Figarella-Branger D, Hawkins C, Ng HK, Pfister SM, Reifenberger G, Soffietti R, von Deimling A, Ellison DW. The 2021 WHO Classification of Tumors of the Central Nervous System: a summary. Neuro Oncol. 2021 Aug 2;23(8):1231-1251. doi: 10.1093/neuonc/noab106.

  4. Ramaswamy V, Remke M, Bouffet E, Bailey S, Clifford SC, Doz F, Kool M, Dufour C, Vassal G, Milde T, Witt O, von Hoff K, Pietsch T, Northcott PA, Gajjar A, Robinson GW, Padovani L, André N, Massimino M, Pizer B, Packer R, Rutkowski S, Pfister SM, Taylor MD, Pomeroy SL. Risk stratification of childhood medulloblastoma in the molecular era: the current consensus. Acta Neuropathol. 2016 Jun;131(6):821-31. doi: 10.1007/s00401-016-1569-6.

  5. Maier H, Dalianis T, Kostopoulou ON. New Approaches in Targeted Therapy for Medulloblastoma in Children. Anticancer Res. 2021 Apr;41(4):1715-1726. doi: 10.21873/anticanres.14936.

  6. Lutz K, Jünger ST, Messing-Jünger M. Essential Management of Pediatric Brain Tumors. Children (Basel). 2022 Apr 2;9(4):498. doi: 10.3390/children9040498.

Weiterführende Literatur