Ein epileptischer Anfall zählt zu den häufigsten neurologischen Beschwerdebildern. Die Liste der möglichen Ursachen ist lang und umfasst unter anderem Schlaganfälle, Hirnverletzungen, Hirntumoren oder neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer-Demenz. Allerdings entwickeln nicht alle Patienten nach einem einmaligen Anfall auch eine Epilepsie. Eine Epilepsieerkrankung liegt dann vor, wenn mehrere spontane Anfälle auftreten, die nicht auf eine vorübergehende Beeinträchtigung des Gesundheitszustands (Fieber, Alkoholentzug, niedriger Blutzuckerspiegel) zurückzuführen sind.
Wie häufig ist Epilepsie?
Bei der Epilepsie handelt es sich um eine chronische Erkrankung. In der Schweiz ist schätzungsweise 1 % der Bevölkerung betroffen, dies entspricht etwa 100 000 Menschen. Für die Betroffenen ergeben sich enorme Konsequenzen für das komplette Lebensumfeld – privat, familiär, beruflich und sozial. Aus diesem Grund ist es für Epilepsiepatienten sehr wichtig, sich an ein spezialisiertes Zentrum zu wenden, das die richtigen medizinischen Abklärungen vornehmen und entsprechende Therapien anbieten kann.
Welche Arten von epileptischen Anfällen gibt es?
Ein epileptischer Anfall ist die Folge einer vorübergehend gestörten elektrischen Signalübertragung zwischen Nervenzellen. Es kommt zu einer rhythmischen Überaktivität vieler beteiligter Nervenzellen. Dabei können Nervenzellen unterschiedlicher Regionen im Gehirn betroffen sein. Dementsprechend kann das Erscheinungsbild von Krampfanfällen sehr variieren, je nachdem, welche Gehirnregion von der epileptischen Aktivität betroffen ist.
Man unterscheidet generell:
- einfache fokale Krampfanfälle: der Betroffene ist bei Bewusstsein, es kommt zu Zuckungen oder Kribbelgefühlen in einer bestimmten Körperregion
- fokal-komplexe Anfälle: wie ein fokaler Anfall nur zusätzlich mit kurzem Bewusstseinsverlust
- generalisierte Anfälle: treten grundsätzlich mit Bewusstseinsverlust auf, eventuell mit tonisch-klonischen motorischen Verkrampfungen (Grand Mal) oder auch ohne motorische Erscheinungen (Petit Mal).
Was ist eine pharmakoresistente Epilepsie?
50–60 % aller Epilepsieformen haben einen fokalen Beginn. Das bedeutet, dass die Epilepsie in einer bestimmten Hirnregion ausgelöst wird und sich von hier aus in benachbarte Hirnregionen ausbreitet. Diese Triggerzone, die sogenannte Anfallsursprungszone, kann mit einer Hirnläsion (Tumor, Fehlbildung, Nervengewebsnarbe) verbunden sein, aber auch unauffällig aussehen. 20–30 % aller Patienten mit einer fokalen Epilepsie haben trotz mehrfacher medikamentöser Therapieversuche weiterhin epileptische Anfälle. Man spricht in solchen Fällen von einer pharmakoresistenten Epilepsie. Patienten mit einer fokalen und/oder pharmakoresistenten Epilepsie sind Kandidaten für eine Epilepsiechirurgie.
Wann wird die Epilepsiechirurgie eingesetzt?
Ziel der Epilepsiechirurgie ist es, die Epilepsie zu heilen. Dies kann in ca. 80 % der Fälle erreicht werden, wenn es gelingt, die Läsion zu entfernen, ohne benachbarte wichtige Hirnareale zu schädigen, die für Sprache, Sehen oder Motorik zuständig sind. Daher ist vor der Operation eine ausführliche Abklärung an einem spezialisierten Zentrum besonders wichtig. Hier können alle Fragen beantwortet und der Behandlungserfolg sowie die Therapierisiken präzise eingeschätzt werden. Zu den notwendigen Untersuchungen vor der Operation zählt u. a. eine Langzeit-Video-EEG-Überwachung (Telemetrie). Die EEG-Elektroden können dabei oberflächlich auf der Kopfhaut aufgeklebt oder bei speziellen Fragestellungen vorübergehend auf der Hirnoberfläche oder an bestimmten Stellen in der Tiefe des Gehirns implantiert werden. Ziel dieser Langzeit-EEG-Überwachung ist es, die Anfallsursprungszone im Gehirn zweifelsfrei zu identifizieren.
Welche Arten der Epilepsiechirurgie gibt es?
Es existieren unterschiedliche chirurgische Verfahren zur Behandlung der verschiedenen Epilepsieformen. Dazu zählen sowohl kurative Verfahren (mit dem Ziel, die Epilepsie zu heilen) und nicht-kurative Verfahren (mit dem Ziel, die Anfallshäufigkeit zu reduzieren). Im Folgenden gehen wir kurz auf die unterschiedlichen Verfahren ein, die am Inselspital angeboten werden.
Kurative Verfahren
Ein chirurgischer Eingriff, der präzise das Hirngewebe entfernt, von dem die epileptischen Anfälle ausgehen, heisst Resektion. Ziel ist die komplette Resektion dieses epileptogenen Fokus. Resektive Verfahren sind die am häufigsten angewendeten Verfahren in der Epilepsiechirurgie und haben die beste Erfolgsraten. Zu den resektiven Verfahren zählen:
Läsionektomie
Das chirurgische Entfernen einer Läsion, welche die epileptischen Anfälle auslöst, wird als Läsionektomie bezeichnet. Als Läsionen bezeichnet man gut umschriebene strukturelle Anomalitäten im Gehirn. Dazu zählen beispielsweise Tumoren, Gefässmissbildungen wie Kavernome oder umschriebene Hirnanlagestörungen wie eine fokale kortikale Dysplasie. Bei der Operation werden die Läsion selbst und das umliegende Hirngewebe entfernt. Die Erfolgsraten sind mit ca. 80 % Anfallsfreiheit sehr hoch. Die meisten Patienten können im Anschluss ihre antiepileptischen Medikamente absetzen.
Amygdalohippocampektomie und partielle Temporallappenresektion
Wenn der epileptogene Fokus innerhalb gewisser anatomischer Strukturen im Schläfenlappen (Temporallappen) lokalisiert ist, genauer gesagt in der Amygdala bzw. im Hippocampus, können diese temporalen Strukturen sowie die umgebenden Grosshirnanteile entfernt werden, ohne dass die betroffenen Patienten relevante Störungen davontragen. Dies setzt jedoch eine gute prächirurgische Abklärung voraus. Die operativen Ergebnisse sind sehr gut und 70–80 % der Patienten sind nach dem Eingriff anfallsfrei, wobei etwa die Hälfte dieser Patienten ihre antiepileptischen Medikamente absetzen kann.
Partielle Lobektomie
Wenn der epileptogene Fokus im Stirnlappen (Frontallappen), Scheitellappen (Parietallappen) oder Hinterhauptlappen (Okzipitallappen) lokalisiert ist, kann eine Teilentfernung dieser Hirnanteile erfolgen. In den meisten Fällen wird diese Form der Chirurgie angewendet, wenn eine Läsion oder Strukturauffälligkeit innerhalb dieser Hirnanteile gelegen ist. Die Erfolgsrate der partiellen Lobektomie beträgt ca. 50–60 %.
Funktionelle Hemisphärektomie
Diese Form der Epilepsiechirurgie wird fast ausschliesslich angewendet, wenn die epileptische Aktivität vom Grossteil einer Hirnhälfte ausgeht. Der epileptogene Fokus, der in diesen Fällen nur eine Hirnhälfte betrifft, ist sehr ausgedehnt und kann nicht vollständig entfernt werden. Betroffen sind hier meist Kinder mit einer grossen Gefässmissbildung, perinatalen Hirnblutungen oder Infarkten sowie Patienten mit Rasmussen-Enzephalitis. Bei der Operation werden alle Faserbündel getrennt, über die beide Hirnhälften miteinander kommunizieren.
Das Ziel der Operation ist, die Anfallsausbreitung auf die gesunde, nicht betroffene Hirnhälfte zu verhindern. Die erkrankte, epileptogene Hirnhälfte ist durch die zugrundeliegende Erkrankung meist ohne verbleibende Restfunktion. Die Erfolgsaussichten dieser Operation sind ebenfalls sehr gut. Über 80 % der Betroffenen haben in der Regel eine deutlich reduzierte Anfallshäufigkeit, viele sind sogar komplett anfallsfrei. Die Prognose ist bei Erkrankungen mit fortschreitendem Verlauf wie der Rasmussen-Enzephalitis etwas schlechter.
Laser Interstitial Thermal Therapy
Laser Interstitial Thermal Therapy (LITT) ist der englische Begriff für eine Laserablation. Diese beruht auf dem Prinzip der Erhitzung und Verödung von erkranktem Hirngewebe mittels Lasertechnologie. Während der Behandlung wird eine Bildgebung des Kopfs per Magnetresonanztomografie (MRT bzw. MRI von engl. Magnetic Resonance Imaging) durchgeführt, um das Hirnareal präzise darzustellen, das mittels LITT verödet werden soll. Der Laser wird über ein Hochpräzisionsverfahren, die sogenannte Stereotaxie, in die Läsion oder das betroffene Areal eingeführt. Der gesamte Eingriff wird minimal-invasiv durchgeführt, ohne dass der Schädelknochen grossflächig eröffnet werden muss.
Dieses minimal-invasive Verfahren eignet sich zur Behandlung von kleinen, eng umschriebenen epileptogenen Zonen. Die Vorteile dieser Methode gegenüber den klassischen resektiven Verfahren sind:
- kürzere Behandlungsdauer
- keine Kraniotomie (grossflächige Eröffnung des Schädelknochens) notwendig
- kürzere Hospitalisationsdauer
- weniger Komplikationen (Infektionen, Wundheilungsstörungen)
Erste Daten dieser relativ jungen Behandlungsform zeigen einen Behandlungserfolg von ca. 50 % Anfallsfreiheit für ausgewählte Indikationen. Die LITT ist Gegenstand weiterer Forschung und klinischer Evaluation.
Nicht-kurative Verfahren
Bei gewissen Epilepsieformen kann keine Resektion durchgeführt werden, da der zu erwartende Behandlungserfolg zu gering oder die mit der Resektion verbundenen Operationsrisiken zu gross sind. In diesen Fällen stehen folgende nicht-kurative Verfahren zur Verfügung:
Neuromodulation
Chirurgische Verfahren, die die elektrische Aktivität des epileptogenen Fokus oder des betroffenen neuronalen Netzwerks modulieren bzw. reduzieren statt den epileptogenen Fokus zu resezieren, werden als neuromodulative Verfahren bezeichnet. Dabei werden feine Elektroden in einer Hochpräzisionstechnik gezielt an den Ort der Stimulation implantiert und an einen Schrittmacher (implantierbaren Impulsgenerator) angeschlossen. Für die Epilepsie gibt es derzeit zwei neuromodulative Verfahren:
Vagusnervstimulation
Die Vagusnervstimulation (VNS) ist eine zugelassene Behandlungsmethode für die fokale Epilepsie, wenn resektive Verfahren nicht anwendbar sind. Hierbei wird ein kleiner Schrittmacher unter das Schlüsselbein implantiert und an eine Elektrode angeschlossen, die über ein mikrochirurgisches Verfahren am Nervus vagus befestigt wird. Der Schrittmacher generiert kleine Stromimpulse, die den Nervus vagus stimulieren. Dies verringert über einen längerfristigen Verlauf die Häufigkeit epileptischer Anfälle der so behandelten Patienten. Das Verfahren bewirkt bei etwa der Hälfte der Patienten eine Verringerung der Anfallshäufigkeit um ca. 50 %.
Tiefe Hirnstimulation
Die Tiefe Hirnstimulation oder auch deep brain stimulation (DBS) ist die zweite Therapiealternative. Hierbei werden über ein Hochpräzisionsverfahren (Stereotaxie) zwei Elektroden an eine spezifische Kernstruktur im Gehirn, den anterioren Thalamus, implantiert. Der Schrittmacher wird unter dem Schlüsselbein implantiert und an die Elektroden über ein Adapterkabel angeschlossen, das unter der Haut verläuft. Der Schrittmacher generiert kleine Stromimpulse, die den Thalamus stimulieren und die Ausbreitung der epileptischen Aktivität hemmen. Auch dieses Verfahren bewirkt bei etwa der Hälfte der Patienten eine Verringerung der Anfallshäufigkeit um ca. 50 %.
Tiefe Hirnstimulation
Operationsablauf
Funktionsweise
Warum Sie sich am Inselspital behandeln lassen sollten
Das Inselspital ist eines der drei Schweizer Zentren mit den höchsten Fallzahlen. Wir verfügen deshalb über die notwendige Erfahrung und Expertise, Epilepsiepatienten präzise zu diagnostizieren sowie nach dem neuesten Stand der Forschung gezielt und ganzheitlich zu behandeln.
Die Seizure Unit der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital hat ihren Betrieb Anfang 2024 aufgenommen. Die hochmoderne Überwachungsstation für Epilepsiepatienten verfügt über vier Betten im neuen Anna-Seiler-Haus. Dank einem nahegelegenen Kontrollraum mit zahlreichen Überwachungsmonitoren ermöglicht die Einheit eine noch schnellere Reaktionszeit bei epileptischen Anfällen. Dies ermöglicht wertvolle Erkenntnisse für die hochspezialisierte Epilepsiediagnostik und -behandlung.
Für Epilepsieabklärungen steht ausserdem ein klinisch zugelassenes Ultrahochfeld-MRT zur Verfügung. Das Inselspital ist damit in Hinblick auf Epilepsie-Abklärungen ein Vorreiter in der Schweiz.