Rückenmarkstumoren

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Tumoren des Rückenmarks wachsen langsam und zeigen oft wenige, sich schleichend entwickelnde Symptome, bis sie aufgrund ihrer zunehmenden Grösse schwere Lähmungen und Gangstörungen verursachen. Sie können infiltrativ wachsen wie das Astrozytom oder eine relativ scharfe Begrenzung aufweisen wie das Ependymom. Die Operation ist die Behandlung der Wahl. Sie stellt allerdings die höchsten technischen Ansprüche an das neurochirurgische Team. Rückenmarkstumoren erfordern mehrere spezielle Operations- und Überwachungstechniken. Ein neuartiges Mapping, an dessen Entwicklung das Inselspital beteiligt war, kann präzise die Lokalisation der Bewegungsbahn feststellen und so die Sicherheit der Operation erhöhen.

Welche Tumoren kommen im Rückenmark vor?

Typische Rückenmarkstumoren sind intramedulläre Ependymome, Astrozytome, Hämangioblastome oder Kavernome. Intramedulläre Tumoren wachsen innerhalb des Rückenmarks.

Am häufigsten sind Ependymome, Hämangioblastome und Kavernome mit glatt begrenzten Rändern. Sie können meistens – aber nicht immer – vollständig entfernt werden.

Astrozytome wachsen in der Regel infiltrativ, also mit Ausläufern zwischen die Rückenmarksbahnen. Sie können daher oft nicht vollständig entfernt werden.

Was sind die Risiken von Rückenmarkstumoren?

Tumoren im Rückenmark wachsen in der Regel sehr langsam und sind oft gutartig. Sie befinden sich aber mit ihrer Lokalisation im Rückenmark an einem der funktionell am dichtesten gepackten Orte des Nervensystems. So können auch gutartige Tumoren ohne Behandlung zur Querschnittslähmung führen, weil das Rückenmark im Spinalkanal nicht ausweichen kann und abgedrückt wird.

Ausserdem ist eine Operation am Rückenmark immer mit einem ernst zu nehmenden Risiko für sensible oder motorische Störungen behaftet. Es gilt also abzuwägen und den richtigen Zeitpunkt für den Eingriff zu finden.

Hauptrisiko Querschnittslähmung

Partiell oder im schlimmsten Falle komplett: Die Schädigung der Bewegungsbahn mit der Folge einer Querschnittslähmung ist die schwerste Komplikation einer Operation am Rückenmark. Sie kann trotz sorgfältiger Operation durch eine Durchblutungsstörung oder eine mechanische Belastung entstehen. Das Risiko steigt mit zunehmender Grösse des Tumors an.

Die Operation muss immer mit elektrophysiologischer Mehrfachüberwachung durchgeführt werden.

Wann sollte ein Rückenmarkstumor operiert werden?

Bei fehlender Symptomatik und kleinen Tumoren gilt bis auf begründete Ausnahmen eine abwartende Haltung mit regelmässiger Verlaufskontrolle. Intramedulläre Tumoren wachsen oft sehr langsam, mit längeren Pausen und sind zuweilen über Jahrzehnte stabil.

Treten jedoch klare Symptome wie Taubheitsgefühle, Schmerzen oder Lähmungen auf, sollte frühzeitig eine Operation erfolgen, da die Operationsergebnisse im Frühstadium und bei kleineren Tumoren besser sind als bei grossen Tumoren und bereits fortgeschrittenen Lähmungen.

Durchbruch in der Operationssicherheit

Ein internationales Team, zu dem auch einige unserer Neurochirurgen gehören, hat erstmals eine Methode zur Lokalisation wichtiger Bahnen im Rückenmark entwickelt. Dieses innovative und mit einem Forschungspreis ausgezeichnete Verfahren wird bei uns am Inselspital heute routinemässig eingesetzt und macht Ihre Operation am Rückenmark noch sicherer.

Wenn der Chirurg die genaue Lage der Pyramidenbahn kennt, hat das in vielen Fällen Einfluss auf die Operationstechnik und die einzelnen Schritte der Tumorentfernung. Während dieses sogenannte Mapping – also das Auffinden der Pyramidenbahn mit einem gepulsten Mikrostrom – sich in der Hirnchirurgie bereits etabliert hat, war diese Technik am Rückenmark bisher nicht möglich. Weil dort über Reflexneurone die sensible Bahn und die motorische Bahn miteinander verschaltet sind, konnte der Chirurg bei einer Stimulation des Gewebes beide Bahnen nicht voneinander unterscheiden. Genau diese Unterscheidung ist aber nun einer internationalen Arbeitsgruppe mit Berner Beteiligung gelungen: Da die motorische Bahn nach einem kurzen Reiz bereits nach 60 Millisekunden wieder einen neuen Impuls weiterleiten kann, die sensible Bahn dafür aber länger braucht, kann die neue Technik des «Double-Trains» jetzt selektiv die Position der Pyramidenbahn vorhersagen.

Besonders bei intramedullären Astrozytomen ist dieses neue Mapping wichtig, weil die Fasern der Bewegungsbahn nicht vom Tumor zu trennen sind. Der Tumor weist keine glatte Grenzschicht zum normalen Gewebe auf. Intramedulläre Astrozytome können deshalb in den meisten Fällen nicht vollständig entfernt werden. Das Mapping kann wie ein Radar in das Gewebe hineinleuchten und die gefährliche Nähe der Pyramidenbahn erkennen und signalisieren, dass an dieser Stelle die Operation aus Sicherheitsgründen beendet werden muss. Bei sehr kleinen Tumoren ist es dagegen möglich, diese vollständig zu entfernen, wenn das Mapping einen genügenden Sicherheitsabstand anzeigt.

Überwachungstechniken bei Rückenmarkstumoren

Intramedulläre Tumoren stellen höchste Ansprüche an die Operation, insbesondere an die Überwachung der Funktion des Rückenmarks während der Tumorentfernung. Oberstes Ziel der mikrochirurgischen Operation ist die Funktionserhaltung bei gleichzeitiger vollständiger Entfernung (Ependymom, Kavernom, Hämangioblastom) oder maximaler Verkleinerung (Astrozytom). Neben speziellen Instrumenten und einer optimalen Resektionstechnik ist die neurophysiologische Überwachung von entscheidender Bedeutung. Das klassische Neuromonitoring reicht nicht aus, weil die motorisch evozierten Potenziale spinal anders interpretiert werden und die sensorischen Potenziale für die motorische Funktion nicht aussagekräftig sind.

Monitoring und Mapping

Da im Rückenmark und Hirnstamm die Funktionsdichte von Nervenzellen und Leitungsbahnen am grössten ist, muss jeder Patient über die Möglichkeit zusätzlicher neurologischer Störungen umfassend aufgeklärt werden. Neben der operativen Erfahrung und Technik hilft ein spezielles intraoperatives Rückenmarksmonitoring und neu auch Mapping, das von einem spezialisierten Team durchgeführt werden sollte.

Motorisch evozierte Potenziale (MEP)

Die elektrische Stimulation des Bewegungszentrums sendet Impulse aus, die sich über die Bewegungsbahn – den Tractus corticospinalis – zum Muskel hin ausbreiten und mit einer Geschwindigkeit von 60 m/s fortleiten. Im Muskel werden die Antworten als Kurven abgeleitet (motorisch evozierte Potenziale) und von geschultem Personal interpretiert. Sie geben eine direkte Rückmeldung über die motorischen Funktionen zum Zeitpunkt der Operation.

Somatosensorische Potenziale (SEP)

Die Hinterstrangbahnen, die die Signale für das Gefühl und den Orientierungssinn im Raum weiterleiten, werden durch sensibel evozierte Potenziale (SEP) während der Operation gemessen. Beide Bahnen – Pyramidenbahn und Hinterstrangbahn – müssen geschont werden, damit der Patient postoperativ keine Beeinträchtigungen beim Laufen hat.

Vegetative Überwachung: Zusätzlich dient der Bulbus-cavernosus-Reflex (BCR) zur Überwachung der Mastdarm- und Sexualfunktionen sowie nun neu auch das intraoperative Blasendruck-Monitoring.

D-Wave

Die D-Wave (direkte Welle) ist das direkt an der Bewegungsbahn gemessene Signal. Sie ist heute der «Goldstandard» und bestimmt entscheidend die Strategie der Chirurgie und auch den Zeitpunkt eines eventuellen Abbruchs der Operation. Solange die D-Welle stabil ableitbar ist, hat der Patient keine schwere Lähmung nach der Operation oder wird sich sicher im Verlauf der nächsten Wochen davon erholen. Dieses Signal hat somit eine bedeutende Vorhersagekraft und hat einen direkten Einfluss auf die Technik und Strategie der Operation.

Zugang zum Tumor

Wenn immer es möglich und sicher ist, führen wir die Operation über einen halbseitigen Zugang durch, der sogenannten Hemilaminektomie. Bei grösseren Freilegungen bevorzugen wir die Technik der Laminoplastie mit Wiedereinsetzen der knöchernen Wirbelbögen. Beide Techniken erhalten die Dornenfortsätze und Ligamente, das sogenannte hintere Zuggurtungsband, das für die Haltung und Stabilität der Wirbelsäule wichtig ist.

Nachsorge und Kontrollen

Die Operation ist immer in ein interdisziplinäres Behandlungskonzept eingeschlossen. Regelmässige Nachkontrollen wie MRI-Untersuchungen sind unerlässlich. Weitere Therapien wie Bestrahlung oder Chemotherapie können bei bösartiger Gewebediagnose folgen oder bei inoperablen Tumoren die Behandlung fortführen. Bei den meisten Tumoren ist jedoch die Operation ausreichend. Selbst wenn ein kleiner Resttumor verbleibt, ist sein Wachstum in der Regel sehr langsam und der Tumorrest über viele Jahre oder Jahrzehnte stabil.

Ganz wichtig ist nach der Operation die spezialisierte Neurorehabilitation, ambulant oder auch stationär, beispielsweise in unserem Spital Riggisberg. Eingebettet in voralpiner Landschaft mit herrlicher Aussicht auf Gantrischkette und Hochalpen, bietet Riggisberg ideale Voraussetzungen für einen erfolgreichen Rehabilitationsaufenthalt. Eine frühzeitige und ausreichend lange Rehabilitationsbehandlung kann bestehende Defizite deutlich verringern.

Weiterführende Literatur