Schmerzen nach Schlaganfall

,

Tritt ein Infarkt in bestimmten Hirnregionen auf, kann er bei betroffenen Patienten chronische Schmerzen verursachen. Mediziner bezeichnen diese Schmerzen auch als zentrales neuropathisches Schmerzsyndrom oder Central Post-Stroke Pain (CPSP). Konventionelle Therapien und Medikamente sprechen bei dieser Art von Schmerz oft nur unzureichend an. In diesen Fällen kann die tiefe Hirnstimulation Schmerzlinderung verschaffen. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die Ursachen für dieses Schmerzsyndrom und die neurochirurgischen Behandlungsmöglichkeiten am Inselspital.

3
spezifisch ausgebildete Pain Nurses
Schmerz-Board
Interdisziplinäre Fallbesprechungen am Schmerzzentrum
240
funktionelle Eingriffe pro Jahr

Wie entstehen Schmerzen nach einem Schlaganfall?

Schmerzwahrnehmung ist eine Leistung des Gehirns. Bestimmte Hirnregionen sind an der Schmerzverarbeitung beteiligt und integrieren die sensorischen sowie affektiven Wahrnehmungsinhalte zum Gesamterlebnis «Schmerz». Was Menschen als schmerzhaft empfinden, ist also aus mehreren Komponenten zusammensetzt:

  • Schmerzlokalisierung
    Man kann Schmerzen in der Regel einem oder mehreren Körperteilen oder -regionen zuordnen.
  • Schmerzqualität
    Man erlebt unterschiedliche Schmerzqualitäten, wie z. B. einen stechenden, ziehenden, scharfen oder brennenden Schmerz.
  • Vegetative Komponente
    Schmerzen gehen mit einer vegetativen Reaktion einher wie Veränderung des Herzschlags, der Atmung oder des Blutdrucks.
  • Affektive Komponente
    Darüber hinaus sind Schmerzen mit einem höchst unangenehmen Gefühl verbunden, das als quälend und leidend empfunden wird und sich von anderen unangenehmen Gefühlen wie Trauer, Angst oder Ärger gefühlsmässig klar unterscheidet.

Alle diese Komponenten werden in unterschiedlichen Bereichen im Gehirn verarbeitet und zum Erlebnis Schmerz zusammengefügt. Die an der Signalverarbeitung beteiligten Strukturen sind unter anderem die Nerven, das Rückenmark, der Thalamus, verschiedene Kerne im Hirnstamm und Hypothalamus, die Amygdala und gewisse Bereiche der Grosshirnrinde. Die an der Schmerzverarbeitung beteiligten Strukturen kann man zusammenfassend als Schmerznetzwerk bezeichnen.

Nach einer Schädigung einer dieser neuronalen Komponenten des Schmerznetzwerks, wie es beispielsweise beim Schlaganfall der Fall sein kann, können chronische Schmerzen auftreten, die man als neuropathische Schmerzen bezeichnet. Bei einer Läsion des Thalamus oder der umliegenden Nervenbahnen wird dieser Schmerz auch als zentraler Schmerz oder Thalamusschmerz bezeichnet *. Die genauen Mechanismen auf zellulärer Ebene sind dabei weitgehend unverstanden. Nach Schätzungen entwickeln bis zu 20 % der Patienten nach einem Schlaganfall ein zentrales Schmerzsyndrom.

Wie äussern sich diese zentralen Schmerzen?

Viele Patienten beschreiben die zentralen neuropathischen Schmerzen als brennende Schmerzen. Auch einschiessende oder klopfende Schmerzen sind typisch. In der Regel ist die dem Schlaganfall gegenüberliegende Körperhälfte betroffen – also bei einem Infarkt des linken Thalamus werden Schmerzen in der rechten Körperhälfte empfunden. Obwohl die Schmerzen unmittelbar nach dem Schlaganfall auftreten können, beginnen sie in der Regel wenige Wochen bis Monate nach dem Ereignis.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Medikamentöse Therapie

Die medikamentöse Therapie ist die erste Wahl zur Behandlung neuropathischer Schmerzen nach einem Schlaganfall. Typische Schmerzmittel wie Paracetamol, Ibuprofen und Novalgin wirken in der Regel nicht. Zu den eingesetzten Substanzen gehören Gabapentin, Pregabalin oder Carbamazepin sowie Opiate oder Wirkstoffe aus der Gruppe der Antidepressiva. Aufgrund der möglichen Nebenwirkungen sollte die medikamentöse Behandlung von einem erfahrenen Schmerztherapeuten angeordnet und überwacht werden.

Transkutane Nervenstimulation

Eine weitere Therapiemöglichkeit ist die transkutane Nervenstimulation (TENS). Bei der TENS handelt es sich um eine elektromedizinische Reizstromtherapie zur Muskelstimulation und Behandlung von Schmerzen.

Tiefe Hirnstimulation (DBS)

Sprechen die Schmerzen nur unzureichend auf die klassischen Therapien an ist die tiefe Hirnstimulation (DBS von engl. deep brain stimulation) eine Behandlungsalternative.

Tiefe Hirnstimulation

Studienlage zur DBS

Zusammenfassend ist die Studienlage zur Wirksamkeit der DBS bei zentralen Schmerzen nach wie vor widersprüchlich. Chronische Schmerzen wurden seit den 1950er Jahren mit der tiefen Hirnstimulation behandelt *. Dabei wurden mehrere Zielpunkte im menschlichen Gehirn stimuliert. Allen diesen Zielpunkten gemeinsam ist, dass sie zum Schmerznetzwerk im Gehirn gehören.

Interessanterweise galt in den 1970er Jahren die tiefe Hirnstimulation damals nur für chronische Schmerzsyndrome als sichere und effektive Therapie – und nicht für Bewegungsstörungen. Heutzutage dagegen machen gerade die Bewegungsstörungen einen Grossteil der Indikationen für die tiefe Hirnstimulation aus.

Die Therapiewirksamkeit bei chronischen Schmerzen wurde nach Veröffentlichung von zwei grösseren, multizentrischen Studien in den Jahren 1976 und 1990 in Frage gestellt. Diese Studien konnten den gewünschten Effekt einer 50%igen Schmerzverbesserung bei mindestens 50 % der Patienten nicht erreichen *. Allerdings wurden diese Studien von vielen Experten kritisiert. Letztendlich muss man folgern, dass diese Studien den heutigen wissenschaftlichen Standards nicht gerecht werden und deshalb aus unserer Sicht wenig aussagekräftig sind.

Weitere Studien seit den 1990er Jahren veröffentlichten schwankende Erfolgszahlen zwischen 24–83 % *.

Aus unserer eigenen Erfahrung profitieren ca. die Hälfte der Patienten mit zentralen Schmerzen nach Schlaganfall von der DBS. Die Ergebnisse zwischen den jeweiligen Patienten schwanken dabei zwischen 0 und 100% der empfundenen Schmerzintensität. *

Die meisten Studien und auch unsere Erfahrungen zeigen, dass es bei vielen Patienten trotz anfänglich guter Wirksamkeit auf die Schmerzen im Verlauf der Zeit zu einem Wirkungsverlust kommt und die Stimulationseinstellungen mehrfach verändert werden müssen. Da weltweit nur ca. 100 Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen nach Schlaganfall mit der tiefen Hirnstimulation therapiert wurden, davon 10 bei uns am Inselspital in Bern, kann die tatsächliche Wirksamkeit der DBS bei zentralen Schmerzen nach Schlaganfall zum heutigen Zeitpunkt nicht abschliessend bewertet werden.

Aktuell: Burst-DBS-Studie am Inselspital

Gewöhnungseffekte an die tiefe Hirnstimulation sind der entscheidende Faktor für das Therapieversagen im langfristigen Verlauf. Aus diesem Grund ist es unserer Meinung nach dringend notwendig, alternative Stimulationsformen zu erforschen in der Hoffnung, die Langzeitergebnisse in der Therapie mit tiefer Hirnstimulation zu verbessern.

Am Inselspital erfolgt nach aktuellem Kenntnisstand die bislang weltweit erste prospektive randomisierte Studie zur Wirksamkeit der tiefen Hirnstimulation bei der Behandlung von zentralen Schmerzsyndromen.

Bei unserer Studie vergleichen wir die Wirksamkeit und Sicherheit zweier unterschiedlicher Stimulationsformen miteinander: die normale Tiefenhirnstimulation mit der Burst-Tiefenhirnstimulation. Dafür werden 20 Patienten mit zentralen Scherzen nach Schlaganfall oder neuropathischen Gesichtsschmerzen (Zosterneuralgie, neuropathische Schmerzen nach Verletzungen, nach zahnärztlichen Behandlungen oder kieferchirurgischen Eingriffen etc.) in unsere Studie eingeschlossen.

Sind Sie Patient und an der Aufnahme in unsere Burst-DBS-Studie interessiert, melden Sie sich bitte bei dem Leiter der Studie, PD Dr. med. Andreas Nowacki.

Burst-DBS-Studie

Patientenselektion

Vor der eigentlichen Operation ist eine sehr gute Patientenselektion die Voraussetzung für den Therapieerfolg. Nicht alle Patienten sind für eine DBS-Operation geeignete Kandidaten. Die Indikation muss interdisziplinär von Neurologen, Neurochirurgen, Neuropsychologen und Psychiatern diskutiert und gemeinsam gestellt werden. Alle potenziellen Kandidaten werden am Inselspital im Rahmen eines solchen interdisziplinären Boards besprochen. Hierbei werden die Indikation, Vor- und Nachteile gewisser Behandlungsalternativen zur DBS (fokussierter Ultraschall), der genaue Zielpunkt mit den zu erwartenden Wirkungen und Nebenwirkungen im Kontext mit dem jeweiligen Erkrankungsbild des Patienten und seinen individuellen Bedürfnissen diskutiert. Kriterien wie die Operabilität und andere Begleitfaktoren (z. B. neuropsychologische Befunde, psychiatrische Begleiterkrankungen) werden dabei auch berücksichtigt.

Referenzen

  1. Treister AK, Hatch MN, Cramer SC, Chang EY. Demystifying Poststroke Pain: From Etiology to Treatment. PM R. 2017;9:63-75.

  2. Pereira EA, Green AL, Aziz TZ. Deep brain stimulation for pain. Handb Clin Neurol. 2013;116:277-294.

  3. Coffey RJ. Deep brain stimulation for chronic pain: results of two multicenter trials and a structured review. Pain Med. 2001;2:183-192.

  4. Marchand S, Kupers RC, Bushnell MC, Duncan GH. Analgesic and placebo effects of thalamic stimulation. Pain. 2003;105:481-488.

  5. Nowacki A, Zhang D, Barlatey S, Ai-Schläppi J, Rosner J, Arnold M, Pollo C. Deep Brain Stimulation of the Central Lateral and Ventral Posterior Thalamus for Central Poststroke Pain Syndrome: Preliminary Experience. Neuromodulation. 2022 Oct 17:S1094-7159(22)01268-5.