Phantom- und Stumpfschmerzen

Der Phantomschmerz ist eine Schmerzempfindung in einer amputierten Gliedmasse, obwohl diese nicht mehr vorhanden ist. Davon zu unterscheiden sind Stumpfschmerzen, die nach einer Amputation direkt am Amputationsstumpf auftreten und denen eine konkrete körperliche Ursache zugrunde liegt. Bis zu 80 % der Patienten mit einer Amputation entwickeln im Anschluss einen Phantomschmerz. Neben der klassischen Kombination von medikamentöser und physikalischer Therapie gibt es auch die Möglichkeit der Therapie mit Neuromodulation. Kleinere Studien konnten hier eine Verbesserung der Schmerzsymptomatik zeigen.

Was sind Phantomschmerzen?

Der Phantomschmerz gehört zur grossen Klasse der Nervenschmerzen, auch neuropathische Schmerzen genannt, und entsteht nach Amputation eines Körperteils. Betroffene Patienten empfinden Schmerzen im Bereich des amputierten Körperteils, die als schneidend, stechend, brennend oder krampfartig beschrieben werden. Es handelt sich dabei um eine neurologische Erkrankung, die durch Veränderungen im Nervensystem ausgelöst wird, und nicht um eine psychiatrische Erkrankung, wie es lange Zeit angenommen wurde.

Wie häufig sind Phantomschmerzen?

Bei ungefähr 50–80 % der Patienten mit einem amputierten Körperteil kann es zu Phantomschmerzen kommen *. Allerdings ist die Intensität, Länge und Frequenz der Schmerzen von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Bei vielen Patienten handelt es sich um vorübergehende Schmerzen, die zu keiner grossen Einschränkung der Lebensqualität führen.

Die Phantomschmerzen können entweder unmittelbar oder sogar erst Jahre nach einer Amputation auftreten. In der Literatur werden zwei Zeitpunkte beschrieben, bei denen der Phantomschmerz am häufigsten eintritt:

  • innerhalb eines Monats
  • ein Jahr nach der Amputation *

Was sind die Ursachen für Phantomschmerzen?

Obwohl die Erkrankung schon seit dem 16. Jahrhundert bekannt ist, ist der Phantomschmerz bis heute eine rätselhafte und schwierig zu behandelnde Erkrankung. Die genauen Ursachen für Phantomschmerzen sind noch nicht vollständig erforscht.

Anfänglich wurden Phantomschmerzen als psychiatrische Erkrankung eingestuft. Mit dem vertieften medizinischen Wissen wurde aber nach und nach deutlich, dass es nach einer Amputation zu Veränderungen im Bereich des Nervensystems kommt (sowohl peripher als auch zentral) und dass diese Veränderungen für den Phantomschmerz zumindest teilweise verantwortlich sind.

Zu den peripheren Veränderungen gehört eine neuronale Hyperaktivität, also eine vermehrte Aktivität der Nervenzellen im Bereich des Stumpfes.

Zu den zentralen Veränderungen gehören Umbauvorgänge im Gehirn und Empfindungsveränderungen im Bereich des Rückenmarks*.

Weiterhin scheinen Schmerzen vor der Amputation sowie psychologische Faktoren eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Phantomschmerzes zu spielen. Allerdings kann keiner dieser Faktoren das Phänomen unabhängig erklären. Aktuell geht man davon aus, dass mehrere Mechanismen für die Entstehung von Phantomschmerzen verantwortlich sind.

Wie werden Phantomschmerzen diagnostiziert?

In der Regel wird die Diagnose von einem interdisziplinären Team von Schmerzspezialisten, Chirurgen und Physiotherapeuten gestellt. Der betroffene Patient wird nach Beginn, Intensität und Häufigkeit der Schmersymptomatik, bekannten Schmerzauslösern sowie bisherigen Behandlungsmassnahmen befragt. Zudem wird dem Patienten das Führen eines Schmerztagebuchs empfohlen. Wichtig ist es, einen Stumpfschmerz auszuschliessen und – falls dieser vorliegt – die Ursache für den Stumpfschmerz zu behandeln.

Wie werden Phantomschmerzen behandelt?

Konservative Therapie

Aktuell werden in der medizinischen Fachliteratur ungefähr 50 Behandlungsmöglichkeiten für den Phantomschmerz vorgeschlagen *. Allerdings ist keine dieser Therapien als alleinig wirksam anerkannt oder den anderen deutlich überlegen. Die beschriebenen Behandlungen zielen jeweils auf einen einzelnen Mechanismus ab. Da bei jedem Patienten jedoch vielfältige Mechanismen zur Entstehung der Phantomschmerzen beitragen, wird den Betroffenen in der Regel eine Kombination verschiedener Therapien empfohlen.

Die Therapie orientiert sich dabei in erster Linie an der Stärke und Dauer der Schmerzen. Im Vordergrund steht die medikamentöse Therapie. Die häufigsten verwendeten Medikamentenklassen sind:

  • nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Acetaminophen
  • Opioide wie Morphin oder Tramadol
  • Antidepressiva wie Amytriptilin
  • antikonvulsive Therapeutika wie Carbamazepin, Gabapentin oder Pregabalin
  • Lokalanästhetika wie Lidocain
  • Ketamin

In der Regel wird die medikamentöse Therapie mit einer ergänzenden Therapie kombiniert. In Frage kommen hier:

  • physikalische Therapie wie Bäder oder Massagen
  • transkutane elektrische Neurostimulation (TENS) *
  • Spiegeltherapie (der noch vorhandene Körperteil wird so gespiegelt, dass der Patient den Eindruck gewinnt, die Spiegelung sei der amputierte Körperteil) *
  • Neuraltherapie wie Triggerpunktinfiltrationen oder Nervenblockaden
  • Akupunktur
  • kognitive Verhaltenstherapie

Neuromodulation

Trotz medikamentöser und adjuvanter Therapie gibt es Fälle, bei denen keine zufriedenstellende Schmerzlinderung erreicht wird. Bei solchen Patienten mit starken und schwer behandelbaren Schmerzen, wird ein Verfahren der Neurostimulation in Betracht gezogen. Es gibt dabei invasive und nichtinvasive Stimulationsverfahren:

Nichtinvasive Stimulationsmethoden

Invasive Stimulationsverfahren im Bereich des Gehirns

Invasive Stimulationsverfahren im Bereich des Rückenmarks

Repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS)

Die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) ist ein diagnostisches und therapeutisches Verfahren, bei der mit Hilfe der magnetischen Felder bestimmte Regionen im Gehirn stimuliert bzw. gehemmt werden. Die rTMS wurde in mehreren Studien untersucht. Die grösste dieser Studien mit Daten von 54 Patienten zeigte 2 Wochen nach der Therapie eine mehr als 30%ige Reduktion der Schmerzintensität *.

Tiefe Hirnstimulation (DBS)

Bezüglich der tiefen Hirnstimulation (DBS) zeigten verschiedene Studien, dass Patienten mit Nervenschmerzen von diesem Eingriff gut profitieren *, *. Die Schmerzreduktion beträgt ein Jahr nach dem Eingriff 50–60 % *. Im Rahmen einer Operation werden über ein Bohrloch Elektroden tief in verschiedene Kerngebiete des Gehirns eingelegt.

Motorkortexstimulation (MCS)

Die Motorkortexstimulation (MCS) ist ein Neuromodulationsverfahren, das seine Wirkung bei Patienten mit starken, therapieresistenten neuropathischen Schmerzen wie Phantomschmerzen gezeigt hat. Bei diesem Verfahren wird über eine Eröffnung der Schädeldecke (Kraniotomie) eine Elektrode auf die Gehirnoberfläche über dem motorischen Areal platziert. Obwohl die Studien nur mit wenigen Patienten (12 bzw. 3 Patienten) durchgeführt wurden, zeigte sich doch ein deutlicher Erfolg bezüglich der Schmerzlinderung von etwa 70 % auch noch nach 2 Jahren *, *.

Rückenmarkstimulation (SCS)

Im Bereich des Rückenmarks zeigten sowohl die Rückenmarkstimulation als auch die Spinalganglienstimulation gute Ergebnisse. Aufgrund der Annahme von Empfindungsveränderungen im Bereich des Rückenmarks nach einer Amputation wurde die Rückenmarkstimulation (SCS von engl. spinal cord stimulation) bereits seit 1970 für die Therapie von Phantomschmerzen eingesetzt. In einer Studie von 2012 wurde die SCS bei Patienten mit Stumpf- und Phantomschmerzen durchgeführt. Sie zeigte eine bis zu 80–90%ige Schmerzlinderung nach 5 bis 20 Jahren bei 42 % der Patienten (5/12). Die restlichen Patienten wurden nicht weiterverfolgt (2/12) oder profitierten von der SCS nicht. Die Gründe für ein Nichtansprechen auf die Therapie waren:

  • neu auftretende Schmerzen, die bei der SCS-Implantation nicht vorhanden waren
  • Plattenbruch
  • schmerzhafte Stimulation bei einem Patienten nach 19 Jahren guten Ansprechens
  • nachlassende Stimulationswirkung *

Nicht bei allen Patienten der Studie wurde vorab eine Testphase durchgeführt, was auch teilweise das Nichtansprechen erklärt. Eine gute Indikationsstellung und die Durchführung einer Testphase sind bei jedem Patienten sehr wichtig.

Spinalganglienstimulation (DRG)

Die Spinalganglienstimulation (DRG von engl. dorsal root ganglia stimulation) zeigte ebenso gute Ergebnisse mit einer Schmerzlinderung von 73–100 % *, *. Diese Studien haben allerdings sowohl Patienten mit Stumpfschmerzen als auch Patienten mit Phantomschmerzen untersucht.

Warum Sie sich am Inselspital behandeln lassen sollten

Alle hier beschriebenen Neuromodulationsverfahren werden regelmässig am Inselspital durchgeführt. Da bei neuropathischen Schmerzen und insbesondere bei Phantomschmerzen eine gute Indikationsstellung die wichtigste Rolle für ein positives Operationsergebnis spielt, wird jeder unserer Patienten individuell und umfassend von unserem interdisziplinären Schmerzteam untersucht und beurteilt.

Was sind Stumpfschmerzen?

Der Stumpfschmerz unterscheidet sich vom Phantomschmerz ganz grundsätzlich, sowohl was die Entstehungsmechanismen als auch was seine Therapie angeht. Beim Stumpfschmerz handelt es sich um Schmerzen, die direkt am Amputationsstumpf auftreten, oft aufgrund von Wundschmerzen, Blutergüssen, Infektionen oder schlecht adaptierten Prothesen. Stumpfschmerzen treten meist kurz nach der Amputation auf. Allerdings leiden etwa 5–10 % der Patienten nach einer Amputation unter chronischen Stumpfschmerzen *.

Im Gegensatz zu den Phantomschmerzen, wo die Schmerzlinderung mittels Medikamenten, Krankengymnastik, Massage oder Nervenstimulation die wichtigste Rolle spielt, ist beim Stumpfschmerz die Beseitigung der zugrundeliegenden Ursache wesentlich für den Behandlungserfolg.

Wie werden Stumpfschmerzen behandelt?

Stumpfschmerzen werden vom Patienten als stechend und extrem stark empfunden. In den ersten Wochen nach einer Amputation gehören sie zum normalen Heilungsverlauf. In der Akutphase erhalten Patienten oft hohe Dosen von Opiaten oder Ketamin. Der «Goldstandard» in dieser Phase ist aber die Regionalanästhesie, die entweder über eine periphere Nervenblockade oder über eine epidurale Infusion erreicht wird *.

Wenn die Stumpfschmerzen auch noch Wochen nach einer Amputation anhalten, muss nach einer Ursache für den Schmerz gesucht werden. Die häufigsten Ursachen sind:

  • Infektionen
    Entzündliche Veränderungen im Bereich des Stumpfes (Schwellung, Rötung, Wundheilungsstörungen, Eiteraustritt). Die Infektion kann oberflächlich sein, aber auch bis tief zum Knochen reichen. In solchen Situationen ist eine rasche Diagnose sehr wichtig. Diese erfolgt mittels Blutentnahme (erhöhte Entzündungswerte), Blutkulturen, Röntgenaufnahmen, Magnetresonanztomografie (MRT bzw. MRI von engl. Magnetic Resonance Imaging) oder gegebenenfalls auch Knochenszintigrafie. Eine antibiotische Therapie sollte anschliessend so schnell wie möglich eingeleitet werden *.
  • Amputationsneurome
    Amputationsneurome sind gutartige Knotenbildungen, die als Reaktion der durchtrennten Nerven an den Nervenenden entstehen. Die Neurome bilden sich Wochen nach der Amputation zurück. Patienten mit diesen Veränderungen empfinden punktuelle Schmerzen im Bereich des Stumpfes. Die Diagnose kann entweder durch eine Ultraschalluntersuchung des Stumpfes oder mittels eines MRIs gestellt werden *. Im Fall von Neuromen sind zunächst konservative Massnahmen empfohlen wie Massagen, analgetische Therapie, transkutane elektrische Neurostimulation (TENS) oder Infiltrationen. Falls diese nicht ausreichend helfen sollten, kann eine Neuromresektion im Betracht gezogen werden *.
  • Heterotope Knochenbildung
    Hier wird Weichteilgewebe im Bereich des Stumpfes zu Knochengewebe umgebaut. Dies ist bei 63 % der Amputationen nach einem Unfall der Fall *. Die genaue Ursache dafür ist nicht bekannt. Es gibt bisher auch keine allgemein akzeptierte Therapie.
  • Wunddehiszenz und Blutergüsse
    Wunddehiszenz (Auseinanderweichen der Wundränder) und Blutergüsse im Bereich des Stumpfes können klinisch oder per Bildgebung diagnostiziert werden. Sie werden meist in einem kleineren chirurgischen Eingriff behoben.
  • Schlechtsitzende Prothesen
    Schlechtsitzende Prothesen müssen gewechselt oder neu angepasst werden, wenn sie Stumpfschmerzen verursachen.

Neuromodulation bei Stumpfschmerzen

Es gibt in der Literatur keine Studien, die die Wirksamkeit der Neuromodulation bei Patienten mit Stumpfschmerzen untersucht hat. In einer Studie zur Wirksamkeit der Rückenmarkstimulation (SCS) wurden Patienten mit Stumpfschmerzen zusammen mit Patienten mit Phantomschmerzen untersucht. Hier konnte eine 80–90%ige Reduktion der Schmerzsymptomatik über einen Zeitraum von 5 bis 20 Jahren bei 42 % der Patienten nachgewiesen werden *.

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