Forschende des Inselspitals, Universitätsspital Bern, und der Universität Bern haben in Zusammenarbeit mit dem Wyss Center for Bio and Neuro Engineering ein innovatives Langzeit-Elektroenzephalogramm (EEG)-System entwickelt, das die kontinuierliche Überwachung der elektrischen Gehirnaktivität im Alltag ermöglicht. Dieses neue EEG-System könnte die Behandlung der Epilepsie und die Forschung zu anderen neurologischen Erkrankungen grundlegend verändern.
Die Aufzeichnungsmöglichkeiten des Elektroenzephalogramms, besser bekannt als EEG, haben sich im Laufe der Jahre stetig weiterentwickelt. Schon früh wurde das EEG zur modernsten Methode für die Diagnose vorübergehender neurologischer Funktionsstörungen, wie sie bei Epilepsie auftreten. Heute kann das EEG nicht nur den genauen Ursprungsort von Anfällen im Gehirn bestimmen, sondern auch kleinste Veränderungen in der Gehirnaktivität erfassen. Diese Fähigkeiten sind entscheidend für das Verständnis und die Diagnose von Anfällen und spielen eine zentrale Rolle bei der Planung wirksamer Behandlungen.
Grenzen des konventionellen Kopfhaut-EEGs
Trotz seiner Bedeutung in der Diagnostik und Überwachung von neurologischen Erkrankungen weist das konventionelle EEG wesentliche Einschränkungen auf. Eine davon ist die Begrenzung auf relativ kurze Aufzeichnungen der Gehirnaktivität (wenige Tage), wodurch eine Reihe von Gehirn(dys)funktionen über längere Zeiträume (Monate) nicht erfasst werden können. Eine kontinuierliche Überwachung der Gehirnaktivität erfordert, dass Patientinnen und Patienten die EEG-Elektroden ständig auf der Kopfhaut tragen, was unpraktisch und stigmatisierend ist. Zum einen müssen die Elektroden sorgfältig zwischen den Haaren angebracht und regelmässig kontrolliert werden. Zum andern sind die Patientinnen und Patienten bei einer kontinuierlichen Beobachtung an die Überwachungsgeräte spezieller Überwachungseinheiten in Krankenhäusern gebunden. Die notwendige Verkabelung reduziert ihren Bewegungsradius stark und kann einen Krankenhausaufenthalt von mehreren Tagen bis Wochen erfordern.
Dauerhafte Überwachung mittels minimal-invasiver Elektrodenimplantation
Um chronische Hirnkrankheiten wie Epilepsie in Zukunft optimal behandeln zu können, müssen Methoden zur Überwachung der elektrischen Gehirnaktivität im täglichen Leben gefunden werden. In den letzten zehn Jahren hat die medizinische Forschung intensiv nach Wegen gesucht, eine unauffällige und kontinuierliche Überwachung der Gehirnaktivität bei Epilepsiepatientinnen und -patienten ausserhalb des Krankenhauses zu ermöglichen. Die bisherigen Lösungen, vor allem die intrakraniellen Systeme, die hauptsächlich für die Neurostimulation bei schwer behandelbarer Epilepsie eingesetzt werden, konnten nur sehr begrenzt und für kurze Zeit täglich EEG-Daten aufzeichnen.
Ein neuerer, vielversprechender Ansatz ist das «subskalpale EEG», bei dem für eine dauerhafte Überwachung Elektroden zwischen Kopfhaut und Schädel implantiert werden. Erste solche Systeme können Anfälle effektiv erfassen. Sie stossen jedoch bei der genauen Lokalisierung von Gehirnaktivitäten aufgrund ihrer begrenzten Elektrodenzahl an Grenzen. Hier setzt eine neue Methode zur Gehirnüberwachung an, die vom Wyss Center for Bio and Neuro Engineering und von der Universitätsklinik für Neurologie des Inselspitals entwickelt wurde. Das System namens EpiosTM nutzt eine spezielle, unter die Kopfhaut implantierbare Elektrodenleitung und kombiniert eine vollständige Abdeckung des Kopfes mit einer ultralangen Aufzeichnung der Gehirnaktivität über viele Monate.
Machbarkeitsstudie zeigt vielversprechende Resultate
Seit 2018 arbeiten Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Maxime Baud, Oberarzt der Universitätsklinik für Neurologie, und Prof. Dr. med. Claudio Pollo, stv. Chefarzt der Universitätsklinik für Neurochirurgie, am Inselspital eng mit dem Wyss Center zusammen, um eine minimalinvasive Elektrode zu entwickeln, die zwischen Kopfhaut und Schädel geschoben werden kann. In einer ersten Machbarkeitsstudie testeten die Forschenden bei acht Patientinnen und Patienten mit einer pharmakoresistenten Epilepsie, die sich aus klinischen Gründen einer Gehirnoperation unterziehen mussten, die Anwendbarkeit und Sicherheit des EpiosTM-Systems. Die Studienteilnehmenden unterzogen sich unter Vollnarkose zunächst dem klinisch indizierten Verfahren und erhielten in derselben Operation die sogenannten EpiosTM-Dreizack-Elektroden, die mit speziell angefertigten Instrumenten über vier kleine Schnitte von ≤ 1 cm zwischen Kopfhaut und Schädel angebracht wurden. Im Anschluss wurden die Patientinnen und Patienten bis zu neun Tagen stationär überwacht.
Die Studienergebnisse zeigen, dass das EpiosTM-System sicher und praktikabel ist. In einem zirka einstündigen Verfahren konnten bis zu 28 Elektroden sicher am gesamten Kopf platziert werden; es kam zu keinen durch das EpiosTM-System verursachten schwerwiegenden Nebenwirkungen. Darüber hinaus erbrachte das EpiosTM-System Ergebnisse, die mit herkömmlichen EEG-Techniken vergleichbar sind, sowohl in der Aufzeichnung von normalen Gehirnaktivitäten als auch in der Erfassung pathologischer Entladungen. Ein entscheidender Vorteil des EpiosTM-Systems ist dabei seine präzise Ortungsfähigkeit dieser Gehirnsignale, was seine Effektivität und den Mehrwert gegenüber anderen implantierbaren EEG Geräten verdeutlicht.
Die Studie weist jedoch auch Grenzen auf, darunter ihre kurze Dauer und die geringe Anzahl der Teilnehmer, was die Generalisierbarkeit der Ergebnisse einschränkt. Dennoch liefert sie überzeugende Anfangsbelege dafür, dass subskalpale EEG-Systeme sicher sind und effektiv Hirnsignale über längere Zeiträume erfassen können. Prof. Baud, Erfinder des Geräts und Leiter der Studie, erklärt: «Das EpiosTM-System hat das Potenzial, die Behandlung von Epilepsie und anderen neurologischen Erkrankungen zu revolutionieren, indem es eine Ultra-Langzeit-Überwachung der physiologischen und pathologischen Gehirnaktivität ermöglicht. Bei Epilepsie können mehr Daten zur Lokalisierung von Anfällen gewonnen werden, was die Optimierung der medizinischen Behandlung und die Planung von Epilepsieoperationen unterstützt. Langfristig könnte dieses System auch dazu beitragen, eine neue Ära der Gehirnüberwachung mit verbesserten Möglichkeiten der Anfallsvorhersage und des Krankheitsmanagements einzuläuten.»
Publikation
Van Maren E. et al. Feasibility, Safety, and Performance of Full-Head Subscalp EEG Using Minimally-Invasive Electrode Implantation. Neurology, 2024 Jun 25;102(12):e209428. (Epub 2024 Jun 6). doi: 10.1212/WNL.0000000000209428
Experten
Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Maxime Baud, Oberarzt, Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern, und Universität Bern
Prof. Dr. med. Claudio Pollo, Stv. Chefarzt, Leiter Funktionelle Neurochirurgie, Universitätsklinik für Neurochirurgie, Inselspital, Universitätsspital Bern, und Universität Bern